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Deutschland umsonst

Deutschland umsonst

Titel: Deutschland umsonst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Holzach
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gibt«, wunderten auch sie sich. Die Wirtin war nicht minder beeindruckt von mir. Sie brachte mir ohne Bestellung einen Strammen Max und Feldmann reichlich Kotelettknochen.
    In Alme schenkte mir der Krämer den Käse, den ich eigentlich kaufen wollte, in Scharfenberg gab es vom Bauern selbstgeräucherten Schinken, in Büren eine Tüte Schweizer Erfrischungsbonbons von der Baronin Fürstenberg persönlich — und die drei Heiermänner gaben keine Ruhe.
    Auch beim Köhlerfestival im Hirschberger Gemeindewald wurde ich mein Geld nicht los. Der Pressesprecher des Fremdenverkehrsvereins schleppte mich gleich auf den dampfenden »Demonstrationsmeiler« und stellte mich und Feldmann der johlenden Menge als »vorbildlich zünftigen Wanderburschen« vor. »Von Hamburg nach Hirschberg zu Fuß, daran sollte sich unsere Jugend mal ein Beispiel nehmen .«
    Ich aber folgte dem Beispiel der trinkfesten Dörfler und ließ mir am lodernden Lagerfeuer das Warsteiner Pils schmecken. Meine Saufkumpane, Förster, Kraftfahrzeuglehrling, Metzger, Waldarbeiter, der Pfarrer, ein paar Touristen — alle prosteten mir zu, als sei ich der Bundespräsident persönlich.
    Etwas abseits stand ein kleiner, blasser Mann, ohne Glas in der Hand, dem nicht einmal der Schein des Feuers eine Röte auf die Backen warf. »Hans Schwarz mein Name«, stellte sich der zurückhaltende Urlauber aus Hamm in Westfalen vor. In den zwanziger Jahren war er mit der Naturfreundejugend auch viel gewandert, im Harz, in der Eifel, im Schwarzwald, bis 1934, da mußte der Maschinenkonstrukteur und aktive Gewerkschafter nach Paris emigrieren, wurde dort ein Jahr später wegen politischer Tätigkeit während des großen Verkehrsarbeiterstreiks festgenommen und in die Schweiz abgeschoben, doch die Eidgenossen wollten ihn auch nicht, also ging es weiter über die grüne Grenze nach Österreich; 1937 schlug er sich nach dem »Anschluß« nach Prag durch, und als die Nazis wenig später auch dort einmarschierten, versuchte Schwarz in die Sowjetunion zu flüchten, wurde an der russischen Grenze abgewiesen, mußte schließlich zurück nach Hamm, weil die Mutter im Sterben lag, lebte dort bis zu seiner Verhaftung im Untergrund, kam erst ins Gefängnis, dann in ein Bewährungsbataillon, in dem er sechs Jahre Krieg in Polen, Frankreich, Norwegen, Jugoslawien mitmachte, 1945 russische Gefangenschaft, sechs Jahre Zwangsarbeit in Sibirien folgten, nach der Heimkehr bis 1970 Gewerkschaftsfunktionär bei der ÖTV, 1971 erste Krebsoperation, 1977 Glückwunschtelegramm von Willy Brandt für 50 Jahre Parteimitgliedschaft, heute Pensionär. Fast beneidete ich den Rentner um sein bewegtes Leben, so schrecklich es auch streckenweise war. Er wußte wenigstens, warum er was tat. Ich dagegen frage mich bei jedem zweiten Schritt: Warum eigentlich nehme ich nicht die Bahn?
    Nach drei Tagen endlich: »Herr Ober, bitte zahlen .« Schon bevor mir der Kellner vom »Gasthof zum Goldenen Stern« in Arnsberg die Rechnung auf den Tisch legt, halte ich ihm meine drei Fünfmarkstücke entgegen, denn längst habe ich mir ausgerechnet, daß ich genau 13,80 DM für das Wiener Schnitzel mit Salat plus einem Bier zu zahlen habe. Aber zu einem »Stimmt so« kann ich mich dann doch nicht durchringen, sondern bestelle im Hinausgehen beim Wirt hinter der Theke noch eine Tafel Vollmilch-Nuß.
    Erleichtert, wenn auch mit schwerem Bauch, geht es über die Ruhrbrücke und dann Richtung Nordwesten, Richtung Ruhrgebiet, eine Steigung hinauf in den regenschweren Abendhimmel. Ich wünsche mir einen schönen, kleinen Bauernhof mit frischem Heu in der Scheune, bevor die ersten Tropfen fallen. Zweitausend Schritte will ich noch durch den Wald gehen, dann wird eine Lichtung kommen, so nehme ich es mir fest vor, mit Wiesen und weidenden Kühen und dem ersehnten Gehöft gleich daneben. Ich zähle los, gehe bei dreihundertdreiundfünfzig an einer plattgefahrenen Katze vorbei, verbiete Feldmann, an ihr herumzunaschen, weil sie schon stinkt, esse vom tausenddreißigsten bis zum tausendfünfhundertsten Schritt meine Schokolade, verlängere bei tausendachthundert vorsichtshalber meine Erwartungsdistanz noch einmal um das Doppelte, und beim Schritt Nummer dreitausendsechshunderteinunddreißig läuft mir eine Gänsehaut über den Rücken — da steht tatsächlich auf einer Wiese, auf der Kühe weiden, ein Bauernhaus, und die ersten Tropfen fallen. Mir ist die Sache gar nicht mehr geheuer. Schon sehe ich mich der Hexe ein Stückchen durch

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