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Deutschland umsonst

Deutschland umsonst

Titel: Deutschland umsonst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Holzach
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Störung«, beginnt Maxe seine Bettelarie. Hilflos blicken sich die beiden an. Die Frau zieht am Ärmel ihres Mannes, sie will schnell weiter, er aber zögert. Die Geschichte mit der Schwerbehinderung und meiner Kündigung zeigt nicht volle Wirkung. Maxe stößt hartnäckig nach: »Unser Hund hat och Hunger, der is uns jerade zujelaufen .« Feldmann schaut treu zu uns hoch. »Der Hund kann ja nichts dafür«, sagt endlich der Mann zu seiner Frau und gibt jedem von uns eine Mark.
    Selten, daß Maxe seine Opfer ungeschoren vorbeigehen läßt. Aber er sucht sich die Leute mit sicherem Instinkt sehr genau aus. Nur solche Menschen kommen in Frage, denen die Gutmütigkeit aus den Augen springt und die es selber nicht besonders dicke zu haben scheinen. Sie lassen sich leicht durch sein dreist-verbindliches Auftreten beeindrucken, wagen keine Widerworte, und hilflose Ausreden wie »ich habe gerade kein Geld dabei« läßt Maxe einfach nicht gelten. » Schaun Se doch bitte noch mal janz jenau nach«, sagt er höflich, aber bestimmt, und siehe da, in irgendeiner Tasche findet sich dann meist doch noch ein »Einer« (1,— DM), ein »Zwickel« (2,— DM) oder manchmal sogar ein »Heiermann«.
    Nach knapp zwei Stunden teilen wir uns die Beute: 24 Mark durch zwei sind zwölf für jeden von uns plus ein halber Hering aus dem Fischgeschäft. Maxe reicht das für heute, mehr braucht er nicht für seinen Rotwein, und mehr als er täglich braucht, erbettelt er sich nie. »Ohne Druck kann ichs nun mal nicht«, sagt er.
    Mir aber fehlen noch 10,50 DM. Hilflos sehe ich mich auf dem Bahnhof um. Frech sein, hatte Max mir geraten. Wen aber soll ich ansprechen, wer wird mir die Geschichte von der Kündigung glauben? Alle Menschen erscheinen mir plötzlich unnahbar, ihre abschätzigen Blicke schüchtern mich ein, jeder scheint zu wissen, weswegen ich hier bin. Nie war die Distanz zwischen mir und meiner Umwelt größer als jetzt. Mein Magen zieht sich zusammen wie ein vertrockneter Schwamm, und je länger ich zwischen dem Fahrkartenverkauf und der Gepäckaufgabe herumirre, desto verspannter werde ich. Mit dem Gefühl völliger Entkräftung verlasse ich den Bahnhof.
    Auf der anderen Straßenseite ist das Hotel »Vier Jahreszeiten«, ein Ort, den Maxe wohl meiden würde. Taxis fahren vor, Portiers reißen die Schläge auf. Die Gäste, die hier ein und aus gehen, übersehen jemanden wie mich, der offensichtlich hier nicht hingehört. Ich will auch gar nicht bleiben, verhalte den Schritt nur einen Augenblick, spiele vielleicht dabei kurz mit dem Gedanken, wie es denn wäre, jetzt da oben in einem Bett zu liegen, umsorgt vom Personal, da schnürt Feldmann schon auf den Eingang zu, um unter dem schwarzen Lackmantel einer aufgetakelten Blondine ein Terrierhündchen zu beriechen. »Haben Sie keine Leine ?« fragt sie mich mit Schweizer Akzent. »Die ist uns gestohlen worden, Madame«, antworte ich frech und plötzlich gänzlich ungeniert, »für eine neue fehlen uns zur Zeit die nötigen Märker .« Die Frau sieht mich etwas verdutzt an, so, als erwarte sie eine nähere Erklärung. Aber ich sage gar nichts mehr, lasse sie einfach hängen. Feldmann schnuppert interessiert an der Hündin, die es willig geschehen läßt. Endlich zieht die Frau einen Zehnfrankenschein aus ihrer Handtasche. »Für den Hund«, sagt sie mit mahnendem Unterton. Ich danke, bin wirklich dankbar und hätte ihr am liebsten einen charmanten Handkuß gegeben, um sie vollends zu verwirren. Auf der Wechselstube bekomme ich für den Schein 11,60 DM. Jetzt habe ich mehr, als ich brauche.
    Mit frischbesohltem Schuhwerk und ehrlich erworbener Schokolade geht es jodelnd Richtung Osten, den Bergen entgegen. Zunächst aber muß ich eine nagelneue Autobahnschneise überwinden, was mir nicht weiter schwerfällt, denn mit Autobahnen lernt man umzugehen im Laufe einer Deutschlandwanderung. Dann quäle ich mich gegen eine endlose Blechlawine die Serpentinen hoch, und als ich von den Autokolonnen sehr bald genug habe und querfeld in ein besonders idyllisches Tal laufe, begegnet mir eine Terrassensiedlung nach der anderen, willkürlich an die Hänge geklotzte Ungetüme, viele noch mit Baukränen gespickt. Je schöner die Täler, um so mehr Wunden entstellen die Landschaft, aus Bauern sind Grundstücksspekulanten geworden, aus Dörfern Ferienwohnstädte.
    Doch nachts ist das Allgäu eine andere Welt, der magische Silbermond verzaubert das Land, unmöglich, jetzt ein Auge zuzubekommen. Der

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