Deutschland umsonst
Herrgottswinkel neben der Tür. Buntgestopfte Socken trocknen über dem glühenden Herd, und wie überall in der Hütte, hängen auch hier ein paar melonengroße Kuhglocken von den Deckenbalken, der prächtige Herdenschmuck für den festlichen Abtrieb im Herbst.
Auf 91 Stück Rindvieh haben die Hirten achtzugeben, neben den 30 Ziegen, 20 Schafen, der Milchkuh und den beiden Haflinger Pferden, auf deren Rücken einmal in der Woche Lebensmittel und zwei Kisten Bier aus dem Tal heraufgeschafft werden, denn zur Didleralm , der höchsten weit und breit, ist es selbst dem Unimog des Bauern zu steil.
»Da droben auf der Alp hob i mei Ruh«, sagt Sepp, »da drohe kutt so schnell kuiner nauf .« Und wenn dann doch mal ein fußfester Bergwanderer vorbeikommt, knöpft er ihm zwei bis drei Mark für den Liter Milch ab, je nachdem, ob er Schwabe ist oder Preuße. Schon mit sechs Jahren hat der Hirte Ziegen gehütet, später Schafe, dann Kühe. Da dies nur ein Halbjahresjob ist, für 400 Mark monatlich, fährt er im Winter notgedrungen mit der Schneewalze an einem Skilift in Oberbayern die Pisten platt.
Ein gewittriges Himmelsgrollen unterbricht unser Gespräch. Sepp steht auf und stellt eine brennende Kerze in den kleinen Hausaltar, »s isch an altr Abrglaubn , obrs hilft scho «, sagt er, während er sich flüchtig bekreuzt.
Das Gewitter poltert heran. Schweigend sitzen wir um den Tisch und nuckeln an unseren Pfeifen. » Isch die Akscht im Hus ?« Der Kleinhirte nickt. Jedes Stück Metall im Freien zieht die Blitze an, werde ich belehrt. Und was ist mit dem Blechdach über uns? Noch ehe ich die Frage ausgesprochen habe, kommt von draußen die Antwort. Gleißendes Blitzlicht grellt durch die Fenster, und im selben Moment erschüttert ein trockener harter Knall so heftig die Hütte, daß im Herrgottswinkel das Kerzenlicht zu flackern beginnt. Dröhnend rollt der Donner zu Tal, und nun setzt auch der Regen ein, wie ein Wasserfall. Unterm Tisch drückt sich Feldmann an mein Bein. Ein Donnerschlag folgt dem anderen, die Erde scheint zu beben, kalte Asche staubt aus dem Ofen heraus, das Unwetter ist nicht über uns, wir sind mittendrin, es ist, als krachten Bomben in unserer Hütte, als säße Wotan mit uns am Tisch. Aber zum Glück sitzt da auch Sepp und stopft seelenruhig seine Pfeife nach. » Bessr mir kriegets ab als s Vieh«, sagt er gelassen und schaut schlitzäugig durch das Fenster auf die nächtlichen Weiden, die von den Blitzen taghell erleuchtet werden. Lang und klagend muht die Kuh aus dem Stall neben uns. »Jo Mausili«, beruhigt sie der Hirte durch die Wand, » brauchscht di net fürchten, dei Sepp isch ja do, s isch olles guet .«
Schnell und heftig entlädt sich die Himmelsspannung, und nach einem letzten Staubregen aus dem Ofen ist der Bergfrieden wiederhergestellt. Sepp führt mich im Schein einer Petroleumlampe in meine Kammer unterm Dach, die vollgestopft ist mit eingestaubtem Krempel der Almwirtschaft: Kuhglocken, Käsrührern , Äxten, Sägen und einem altem Schleifstein.
Auf einem strohgepolsterten Lager mache ich mich lang. Die dunklen Holzbalken der Wände sind übersät mit eingeritzten Buchstaben und Jahreszahlen, die Initialen der Hirten, die hier schon mal gehütet haben. A. F. R. war die Sommer von 1945-49 hier, A. V. H. von 1970-73, und eine Rosel hat hier wohl auch mal ein Schäferstündchen verbracht. Im Fenster direkt über meinem Kopfende fehlt eine Scheibe, die notdürftig mit Plastik zugeflickt ist. Draußen schiebt sich der Mond schon wieder hinter den Wolken hervor. Er ist nicht mehr ganz so rund wie gestern nacht, aber sein Strahlen ist ungebrochen. Ich erkenne die beiden Haflinger, wie sie schimmelweiß mit ihren Fohlen aus dem Nadelholz heraustreten, in dem sie wohl Schutz gesucht hatten vor dem Regen. Dies ist bisher das behaglichste Nachtlager auf meiner Reise.
Der Tag beginnt früh auf der Didieralm. Nach kurzem Schlaf wie in Abrahams Schoß geht es mit einem Glas frischer Milch im Bauch zum Viehzählen. Fast täglich müssen die Hirten nachsehen, ob auch keines der Tiere abgestürzt oder in eines der vielen Wasserlöcher gefallen ist. Ich begleite den Kleinhirten auf seinem knochenharten Fünf-Stunden-Rundgang über steile Hänge und feuchtglatte Felsen, bergauf, bergab, bei dem wir auch Salzlecken austauschen, die elektrischen Zäune am Grat kontrollieren und nachschauen, ob die Batterien einwandfrei arbeiten. »Das Lebe im Berg isch des einzig guete «, erzählt mir Leo unterwegs,
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