Deutschland umsonst
anzusehen, wie liebend gern er mich noch ein bißchen ausgefragt hätte, aber dann scheint er sich seines Bieres zu erinnern, das da unter dem Tisch langsam schal wird, und läßt uns laufen.
Die Sonne steht schon hoch, als ich mich schweißgebadet aus meinem Schlafsack pelle. Erleichtert stelle ich fest, daß der Himmel wieder blau, die Wälder grün, die Kühe braun und die Wiesen bunt sind. Gnome, Geister und Frauen ohne Unterleib sind längst schlafengegangen , die Nacht hat sich ausgespenstert. Dafür läuft der Touristenspuk wieder auf vollen Touren. Nur ein paar hundert Meter unter mir staut sich der Grenzverkehr, die Zollbeamten werden jetzt kaum Zeit finden, in Ruhe ihr Weizenbier zu trinken. Über mir aber thronen die Gipfel der Berge, erhaben, gelassen und vor allem: menschenleer. Ein steiler Pfad schlängelt sich hinauf. Kurzatmig setze ich einen Fuß vor den anderen, während Feldmann den Gamsbock spielt und so übermütig den Hang hinauf- und hinunterspringt, als wollte er mir mal zeigen, wer hier die meisten Beine hat. Auf meinem Rücken dagegen lasten zwanzig Kilo, mit jedem Steigungsgrad wird der Rucksack schwerer. Und immer steiler geht es bergauf, immer häufiger bin ich auf allen vieren und greife nach Grasbüscheln, an denen ich mich aufwärtsziehen kann.
Als ich nach Stunden endlich oben bin, hat sich alle Mühe gelohnt: rundum stilles Alpenglück. 360 Grad Postkartenidylle. Norddeutscher Höhenrausch. Erleichtert schnalle ich mein Gepäck ab, ziehe mir die verschwitzten Sachen vom Leib und lasse mich vom frischen Bergwind trocknen. Schneebedeckte Majestäten im Rücken, scheint die Sicht nach Norden grenzenlos. Je weiter ich schaue, desto flacher wird das Land, und wenn ich die Augen zusammenkneife, wird die Erdkrümmung sichtbar. Da hinten irgendwo, hinter dem Horizont, ist Hamburg.
Viel Zeit zur Selbstzufriedenheit läßt mir der Gipfel nicht. Dicke weiße Wolken schieben sich von Westen heran, und kaum daß ich wieder in meine Kleider gestiegen bin, haben sie uns auch schon verschluckt. Berge und Täler sind im Nu verschwunden, was bleibt, ist gerade mal die eigene Hand vor Augen. Kurzsichtig folge ich dem schmalen Grat über den Rücken des Berges. Aus den Tälern klingt schwach das Geläut der Kuhglocken. Irgendwann reißt der Nebel für Sekunden einen Spaltbreit auf, und ich entdecke unter mir, an den Hang geschmiegt, von Krüppelfichten halbverdeckt, ein Haus, eine Almhütte. Noch ehe ich Näheres erkennen kann, ist der Nebelvorhang wieder zugezogen, doch ich weiß die Richtung, eile im Zickzack über die steilen Gebirgsmatten hinab, bremse mal mit dem Wanderstock, mal mit dem Hintern die Schubkraft meines Rucksacks.
Nach kurzem Abstieg schiebt sich ein Hausgiebel wie ein Schiffsbug aus dem Dunst. Im Näherkommen erkenne ich neben einem Haufen Brennholz Schafe, Ziegen, Pferde und eine Kuh. Geduldig warten sie auf Einlaß. Und da öffnet sich auch schon die Stalltür, ein krauser Vollbart guckt heraus und ruft mit tiefem, grollendem Baß »Mausili« zur Kuh, »Mausili, du liebes Tierchen, kooom zu deim Sepp, s ist Zeit«. Den Menschen scheint dieser Sepp weniger zugetan. Als er mich sieht, zieht er zunächst einmal seine dichten Augenbrauen herunter, als wolle er hinter der eigenen Stirn in Deckung gehen. Ich sage meinen Spruch auf. Sepp sagt gar nichts, sondern massiert seinem Mausili das Euter. Stripp, strapp strullt die Milch aus den fleischigen Fäusten des Hirten in den Blecheimer, während die Kuh mit gleichmäßigem, ruhigem Mahlen ihr Futter wiederkäut. Zweimal hebt sie ihren braunweißen Schwanz, um es dunkelgrün auf den dunkelbraunen Holzfußboden pladdern zu lassen, dann ist der Eimer zu gut zwei Dritteln voll. Sepp ist bereit zur Antwort: »A paar Tag kannscht bleiben, wennd mitschaffst, n dritten Ma kenn mir scho brüchen .«
Der zweite Mann auf der Didieralm ist Leo, ein dreizehnjähriger Schulbub, der hier in den Sommerferien als Kleinhirte arbeitet. Ihm helfe ich gleich als erstes beim Holzhacken. » Bischt du a Schwob odr a Preiß ?« fragt mich das Milchgesicht, die kalte Pfeife zwischen den Zähnen. Als ich, nach kurzem Zögern, »Preuße« antworte, scheint er erleichtert: »Die Schwob sind schlimmer als die Preiß .«
Abendbrot auf 1700 Meter Höhe: Gemeinsam löffeln wir Bratkartoffeln und Leberkäs aus der großen Eisenpfanne. Die Holzwände der kleinen Wohnküche hat der Ofenruß und Tabakqualm in Jahrzehnten schwarz gebeizt, ebenso den Heiland am Kreuz im
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