Deutschland umsonst
läufige Hündin verliert, die dann ausgerechnet noch einen Scheidenkrampf bekommt und meinen Begleiter und mich erst nach gut einer Stunde wieder laufenläßt. Ich schlafe dort, wo ich abends umfalle, ernähre mich von den reichlichen Früchten des Feldes, vor allem von Mais, Kartoffeln, Mohrrüben und Pflaumen, immer wieder Pflaumen, und bin pünktlich am 15. August mit bis zur Brandsohle heruntergelaufenen Schuhen in Esseratsweiler .
Tagungsort der Grünen ist ein komfortables Heim, das eine anthroposophische Gesellschaft zur Verfügung gestellt hat, mit Swimmingpool, holzgetäfelten Tagungsräumen und einem Heimleiter, der sich nur zu gern dazu überreden läßt, mich hier als Küchenhilfe zu engagieren. Schlafen kann ich in einem der vier großen Zelte auf der Wiese.
Angelika suche ich vergebens unter all den jungen Leuten in ihrer bequemen, meist eine Nummer zu großen Kluft, mit ihrer obligaten Atomkraft-Nein-Danke-Plakette und ihren städtisch geprägten Gesichtern. Einige sind aus München, Freiburg und Karlsruhe hergeradelt, einer sogar aus Bremen, aber aus Hamburg zu Fuß gekommen ist außer mir zum Glück niemand. Während in den folgenden Tagen die Delegierten versuchen, die ökologischen Schicksalsfragen der Bundesrepublik in den Griff zu bekommen, schneide ich eine Etage tiefer in der Küche Gemüse und rühre im Gries. Atommüll, Windkraft, Fischsterben, biodynamischer Landbau, Startbahn West, Pestizide — all dies interessiert mich jetzt herzlich wenig, wichtig ist mir nur: Wann kommt Angelika, und wer besohlt mir meine Schuhe?
Angelika ist überhaupt nicht mehr gekommen, und meine Schuhe gebe ich in Lindau bei Schuster Ober zur Reparatur. Einziges Problem dabei ist, daß ich für neue Sohlen und Absätze 28 Mark berappen soll. Wie kriege ich bis morgen nachmittag so viel Geld zusammen? Die Nacht verbringe ich in der Ausnüchterungszelle des Polizeireviers Lindau, die nüchtern nur schwer zu ertragen ist: ein feuchtes Kellerloch mit fünf harten Pritschen aus Spanplatten und einem brillenlosen Abort in der Ecke. Am nächsten Morgen gehe ich, barfuß wie ich bin, erst einmal zum Arbeitsamt. Dort hat Herr Bottinger von der Arbeitsvermittlung nur ein Kopfschütteln für mich übrig. »Für achtundzwanzig Mark Arbeit ?« fragt er zurück, nein, so etwas ist in Lindau nicht zu vergeben. Wenn ich bis zum Saisonschluß für achthundert Mark im Monat Teller waschen möchte, kann ich im »Gasthof Sünfzen « gleich anfangen, aber bis Ende Oktober will ich nicht bleiben. Herr Bottinger rät mir, mich ans Sozialamt zu wenden, Abteilung Nichtseßhaftenhilfe, und das Sozialamt, Abteilung Nichtseßhaftenhilfe, schickt mich mit drei Mark weiter zum evangelischen Pfarrer. Doch der ist im Urlaub, und sein katholischer Kollege hat nur Zweimarkfünfzig klein, obwohl ich es auch gern groß genommen hätte.
Mittags um zwölf stehe ich also da mit 5,50 DM. Mir fehlen noch 22,50 DM, und in vier Stunden sind meine Schuhe fertig. Was tun?
Am Hafen begegnet mir ein Mann im leicht angeschmuddelten Anzug, die nassen Haare streng nach hinten gekämmt, in jeder Hand eine Plastiktüte. Ein durstiger Berber, wie er im Buche steht. »Na, Freundchen«, spricht er mich an, »haste Probleme ?« Ich klage ihm mein Leid, das ihn aber nicht weiter rührt. Ohne Geld auf der Straße zu stehen ist für ihn graue Alltäglichkeit, aber zehn Jahre herumlaufen, ohne zu wissen wohin, haben Maxe, einen »Exil-Berliner«, gelehrt, was da zu tun ist. »Da mußte frech sein«, rät er mir, »ohne Frechheit kommste nich weiter, da kommste nur um .« Er fordert mich auf, ihn zu begleiten, ein paar Nachhilfestunden im Schmalmachen könnten mir nicht schaden. »Schöne Frau, entschuldigen Sie die Störung«, spricht er ein Mütterchen an, das gerade mit einer Einkaufstasche über die Straße zockelt. »Wir sind zwei Wanderjesellen , ich bin schwerbehindert, und mein Kumpel is just gekündigt worden, würden Se so jütig sein und uns mit ein paar Mark zu einer Mahlzeit verhelfen ?« Die Alte ist so verlegen wie ich. Maxe hat sie mit seinen hervortretenden Augen fest im Griff, und er läßt nicht locker, bis sie sich über ihre Einkaufstasche beugt und ein abgegriffenes Portemonnaie herausfingert. Zwei Markstücke wechseln den Besitzer. Mit einem » Jott verjelts « macht sich mein Lehrer mit mir davon.
Unser nächstes Opfer ist ein Touristenehepaar, das gerade aus einem Pforzheimer Volkswagen steigt. »Entschuldigen die Herrschaften bitte die
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