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Deutschland umsonst

Deutschland umsonst

Titel: Deutschland umsonst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Holzach
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Schlafsack, in den ich mich unter einer Fichte schon verkrochen hatte, ist schnell wieder zusammengerollt, und auf geht’s durch das nächtliche Land, direkt auf den bleichen, satten Vollmond zu, der über den schwarzen Bergzacken steht. Wie in Trance lasse ich mich in die fremde Welt der Nacht gleiten, ich schwebe über mehliggraue Weiden, auf denen schwarze Kuhleiber wie steinerne Statuen stehen, vorbei an Bauernhöfen, um die ich eine großen Bogen schlage, weil ich fürchte, Wachhunde könnten uns verbellen und die Menschen aus ihren Betten hochschrecken—ich will diese Nacht ganz für mich.
    Im finsteren Wald am Ende einer leicht abfallenden Wiese wird mir der Wanderstab zum Blindenstock. Behutsam taste ich mich zwischen den Bäumen entlang, verlasse mich mehr auf den Geruchssinn und das Gehör als auf die weit aufgesperrten Augen. Ich rieche die kühle Feuchte eines Baches, höre sein dünnes Gurgeln, lange bevor ich ihn fahl das Mondlicht reflektieren sehe. Traumwandlerisch setze ich Schritt für Schritt auf dunklen Steinen über das Rinnsal. Feldmann dagegen wirft sich ungestüm ins Wasser und schießt aufgeregt durchs dickste Unterholz — dies ist seine Stunde, die Stunde des Wolfs.
    Endlich ein Weg, der uns auf phosphoreszierendem Schotter in weiten Bögen zu Tal führt. Ein Verkehrsschild steht da wie ein Totempfahl. Roter Kreis auf weißem Grund, Durchfahrt verboten. Schaut man aber genau hin, ist hier das Rot nur gedacht, gespeichert von der täglichen Erfahrung; in dieser mondblassen Wirklichkeit ist es dunkelblau und viel größer als gewohnt. Verfremdet sind auch die Baumstümpfe eines gerodeten Waldstücks, die wie krüpplige Menschenleiber erscheinen, wie Frauengestalten ohne Unterleib, wie verwachsene Gnome, die sich in zähen, quälenden Verrenkungen in die kalte Erde graben. Aus den stummen Schonungen dicht am Weg greifen Hände mit dürren, spitzen Fingern nach uns, ein Käuzchen klagt schrill. Und dann steht da auf einmal am Ende des Waldstücks, direkt an der Straße ein Kasten, nicht größer als ein Kindersarg. Erst gehe ich schaudernd vorbei, dann drehe ich mich doch noch einmal um und betrachte mir das Ding aus der Nähe. Im Schein eines Streichholzes erkenne ich einen Adler mit Hammer und Sichel in den Krallen und lese: »Österreichische Bundespost«. Ich bin völlig verwirrt. Dem Stand des Mondes zufolge laufe ich eigentlich nach Osten, Österreich aber müßte im Süden liegen. Hat mich die Nacht verhext?
    Bange taste ich mich weiter voran. Endlich ein Licht in der Ferne. Es tanzt mir im Rhythmus meiner Schritte entgegen. Hinter einer alten überdachten Brücke taucht ein weiß gekalkter Bauernhof auf, vor dem Scheunentor parkende Autos mit österreichischen Nummernschildern. Im Haus ist alles dunkel. Ein Stück weiter — wieder das Licht! Es ist hell, fast gleißend, und eine große, rotweiß-rote Fahne hängt schlaff am Mast. Die Grenze! Erleichtert trete ich in den Neonschein der Zollstation. Zwei Beamte, ein grüner deutscher, und ein brauner österreichischer, sitzen sich an einem Bürotisch gegenüber und blicken mich entgeistert an. Blitzschnell verschwinden zwei Weizenbiergläser von der Tischplatte. Morgens um drei scheinen die Herren gewöhnlich unter sich zu sein. Der Braune steht auf, tritt aus der Tür und fragt in dienstlichem Ton nach meinen Papieren. Ich schnalle den Rucksack auf und wühle meinen Ausweis hervor. Alles in Ordnung? »Woher, bitt schön, kommens , wohin wollens ?« fragt der Beamte. »Wenn ich das bloß wüßte«, antworte ich ehrlich, »ich habe mich verlaufen, ich komme aus der Bundesrepublik und will auch wieder dorthin zurück .« Der Mann stutzt. »Wir sind auch eine Bundesrepublik«, belehrt er mich hochdeutsch, »Bundesrepublik Österreich, Land Vorarlberg .« »Ich will in die BRD«, konkretisiere ich, »Bundesrepublik Deutschland, Freistaat Bayern .« »Dann bitt schön, gehns nach nebenan«, sagt er und deutet mit der Linken zu seinem Kollegen.
    Der Grüne hat sich schon mit seinen weißblauen Rauten auf der Schirmmütze in Stellung gebracht. »Zollkontrolle«, posaunt er in die Nacht. Ich gebe ihm meinen Ausweis. Er fordert mich auf zu warten. Nach einem kurzen Telefongespräch ist er aus seinem Büro zurück. Mit berufseigener Neugierde blickt er auf Feldmann und auf mein Gepäck. »Ist der Hund geimpft ?« fragt er. Ich nicke. »Und was haben wir sonst noch dabei ?« »Was man zum Wandern so braucht«, antworte ich knapp.
    Dem Mann ist

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