Deutschlandflug
Brücke seinen Wagen abstellte, war eine junge, elegante Frau in einem Sportcoup hinter ihm herangeglitten, hatte neben ihm geparkt und war, wie er, über die Brücke, hinein ins Naturschutzgebiet geschlendert.
Sie stutzte, blickte ihn aus tiefen dunklen Augen erstaunt an, zögerte, ob sie ihn ansprechen sollte, und frage dann: »Vous êtes Libanaise?«
Er verstand sie nicht und fragte auf deutsch: »Sind Sie Ausländerin?«
Aber sie war deutsche Studentin; nur ihre tiefen schwarzen Augen und das rabenschwarze Haar verliehen ihr etwas Südländisches. Allerdings hatte sie drei Jahre in Griechenland verbracht, in Alexandropolis.
Niko war entzückt: »Ich bin auf Thassos geboren! Abends konnte man die Lichter von Alexandropolis vom Hügel hinter unserem Haus aus sehen!«
Er sprach ein sehr gutes Deutsch; darum hatte er sich schon während seiner Athener Zeit bemüht. Sie mochte etwa 30 sein, trug ihr schwarzes Haar lang und ungebunden und strahlte ihn aus funkelnden Augen an. Sie schien glücklich, jemanden gefunden zu haben, mit dem sie über Griechenland plaudern konnte. Ihre zarte, schlanke Gestalt steckte in einem enganliegenden eleganten Tweedkostüm.
An diesem Morgen blieb Niko dreimal so lange auf dem Kühkopf wie sonst. Als er sie endlich in ihrem roten Sportwagen davonbrausen sah, kamen ihm die vergangenen Stunden wie ein Traum vor. Er war ein einfacher Mann; er hatte außer seiner Frau kaum ein weibliches Wesen kennengelernt, sah man einmal von den Arbeiterinnen im alten Fischerhafen ab. Jetzt hatte eine elegante, gebildete Damen ihn für würdig befunden, den Morgen auf einer verlassenen Insel mit ihm zu verbringen. Sie hatten angeregt geplaudert:
Hanna studierte in Frankfurt Soziologie. Was sie an den Deutschen besonders störte: die Behandlung der Ausländer. Niko konnte sich nicht beklagen; er stand unter der Protektion der ›Avitour‹. Aber er wußte, wie seine weniger gut etablierten Landsleute ausgebeutet wurden: durch Zimmervermieter und Arbeitgeber. Hanna studierte das, sie wollte eine Semesterarbeit über ›Südländer in der Bundesrepublik‹ schreiben. Darüber diskutierten sie; und endlich lud er sie in das Gasthaus ein, das sich gleich an der Brücke befand. Ungeschickt und verlegen spendierte er ihr einen echt hessischen ›Äppelwoi‹. Sie tranken sich zu.
»Kennen Sie den Hafen von Kavala? Natürlich kennen Sie ihn. Dort habe ich oft gesessen, wenn ich in der Stadt war. Einfach so an der Mole.« Ihre Augen gewannen einen träumerischen Ausdruck. »Weiße Schiffe fuhren aus, kamen herein.«
»Es gäbe zwei wundervolle Fährschiffe, die hinüberfuhren nach Thassos.« Er seufzte, erinnerungsschwer. »›Thassos‹ und ›Kavala‹. Die ›Kavala‹ war die modernere der beiden.«
Sie lachte hell und perlend; ihre makellosen Zähne blitzten.
»Ich habe sie sicher oft gesehen. Vielleicht standen Sie am Bug und blickten übers griechische Meer?«
Wenn mich jetzt meine Kollegen beobachten könnten, dachte er stolz. Mit einer so eleganten Dame mir gegenüber – das würde mir niemand zugetraut haben!
Als er nach Hause kam, war er zerstreut und lustlos. Alles erschien ihm schal und schäbig. Seiner Frau gegenüber schwieg er sich aus, spürte sein schlechtes Gewissen, fieberte trotzdem der nächsten Begegnung entgegen.
Sie hatten sich auf den kommenden Mittwoch geeinigt.
Da hatte er wieder Nachtschicht – eine angenehme: nur drei Maschinen mit Schwimmwesten auszurüsten. Die ›Avitour‹ konnte es sich nicht leisten, für alle Flugzeuge gleichzeitig genügend Westen bereitzuhalten. Oft wurden von gelandeten Maschinen die Schwimmwesten herausgenommen und in die einsatzbereiten Flugzeuge gesteckt.
Er konnte die Ehre, die ihm zuteil wurde, kaum fassen. Sie war glücklich, einen Menschen gefunden zu haben, mit dem sie ihre Sorgen und Befürchtungen besprechen und gleichzeitig Erinnerungen auffrischen konnte. Die Brücke bei Stockstadt am Übergang zum Kühkopf wurde für ihn zum Symbol für eine Daseinserweiterung. Neue Möglichkeiten taten sich auf, die alten Grenzen wurden gesprengt. Trotzdem liebte er nach wie vor seine Penelope, nur seine Gedanken schweiften häufiger ab.
Der Mittwoch wurde eine wahre Gesprächs- und Diskussionsorgie. Zumindest für den schweigsamen Niko; mit seiner Frau war der Themenkreis streng auf Arbeit und Haushalt beschränkt. Sie war eine brave, liebenswerte Person, gelangte aber bei allem Bemühen nicht über den engsten Kreis ihrer Welt hinaus.
…
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