Deutschlandflug
Endlich alles loswerden können, was sich so lange in ihm angestaut hatte. Dazu noch einer Frau gegenüber, der er vor Bewunderung und Verehrung am liebsten die Hände geküßt hätte.
… So bescheiden brauchte Niko sich nicht zu verhalten. Beim dritten Rendezvous küßte sie ihn.
Seitdem er mit dieser Frau verkehrte, erstand seine griechische Landschaft und die Sehnsucht nach ihr stärker denn je in ihm.
Die Abende voller Muskat- und Dörrfischgeruch, an denen er in der Straßenkneipe vor seinem Retsina oder anisduftenden Ouzo saß. Freilich: Auch auf Thassos war der dörfliche Friede dahin. Ganze Banden von jugendlichen Mopedfahrern knatterten Sonntagnachmittags durch die Gassen. Wer nicht motorisiert war, baute sich Plastik- oder Blechstreifen an den Speichen seines Fahrrads ein, die motorähnlich knatterten. Und jeder bestaunte den technischen Fortschritt, der auch über Thassos hereingebrochen war. Niemand schien die Singvögel zu vermissen, die sich tiefer und höher in die Berge zurückzogen. Bald blieben sie fort, wie auch die Graureiher, Störche und Rohrdommeln Seltenheitswert bekamen an den Flußdeltas von Axios, Strimon und Nestos, die rigoros von der Industrie verbaut wurden.
Gefischt wurde kaum noch vor Thassos; das Meer hätte auch nicht mehr allzuviel hergegeben. Viele der ehemaligen Meeresbezwinger waren zu Privatanglern geworden: Sie angelten für den Eigenbedarf.
Wer es nicht auf der eigenen Insel zu einer Honda brachte, wanderte lieber aus; die ohnehin baufälligen Häuser verfielen endgültig, niemand schien sich für ihr Schicksal zu interessieren, außer einigen weltfremden, uralten Weiblein, die laut weinend bei jeder passenden Gelegenheit den teuflischen Lauf der Welt beklagten.
Nikos Frau hatte noch einige Zeit nach der Abreise ihres Mannes ein Kafenion betrieben. Zwischen buschhohen Geranien und Hibisken saß man unter Bäumen am Strand und schlürfte, stundenlang palavernd, sein Kaffeechen, die Tasse zu zwei Drachmen, das waren damals 18 Pfennig.
Nikos Arbeit für die Deutschen mehrte ihren Wohlstand nicht: Er sparte jeden Pfennig, um sie so rasch wie möglich nach Deutschland nachkommen zu lassen.
Es gelang ihm. Vor einer Woche hatte er sogar wahrmachen können, was er nie für möglich gehalten hatte: Er hatte Penelope und die Kinder auf Erholungsurlaub an den Bodensee geschickt. Er war ein guter Ehemann.
Bis er Hanna kennenlernte.
Thomas senkte das Fernglas.
»Ja!« bestätigte er, »das sind sie! Kein Zweifel. Sie haben sich an der VOR zur Verteidigung eingerichtet. Sie strotzen vor Waffen. Es sind vier Männer und eine Frau.«
Ulla und Allermann hatten atemlos die Terroristen und den Sprech verkehr über die Walkie-talkies verfolgt.
»Was jetzt?« fragte Ulla stupide. Sie überhörte den Anruf einer ›Avitour‹-Maschine, die um das letzte Platzwetter von Stuttgart bat. »Was wird die Polizei jetzt tun?«
»Gar nichts wird sie tun!« erläuterte Allermann mit einem schrägen Blick auf Thomas. »Irgend jemand wird ihnen Geld und Gefangenen ausliefern. Dann verraten sie, wo die Bombe versteckt ist. Dann landet unsere ›Steppenadler‹. Heil und wohlbehalten.«
»Heil und wohlbehalten!« murmelte Thomas und legte sein Fernglas beiseite. Dann durchzuckte ihn die furchtbare Frage: Ob sie Margot mitnehmen in den Orient?
Er riß seine Gedanken los von dieser Vermutung. War er ein erbärmlicher Feigling, weil er so oft und ausschließlich an das Wohl seiner Frau dachte? Ließen ihn zweihundertundzwanzig Passagiere und über ein Dutzend Besatzungsmitglieder kalt? Er war kein Held, das stand fest. Aber er mußte vermeiden, ausschließlich das Schicksal seiner Frau zu sehen. Nach dem Austausch würde die ›Steppenadler‹ landen, die Passagiere würden in Sicherheit sein.
»Machen Sie mir noch einen Kaffee, Ulla?«
Ulla hatte endlich das Stuttgarter Wetter durchgegeben und ein paar Umdispositionen ins Bildschirmgerät getippt.
»Sofort! Ich mache uns mal einen Cafe à la Pompadour! Ansonsten geht es uns ja dreckig genug an diesem deutschen Frühlingstag! Mein alter Russe würden sagen: Um den Regen und den Tod braucht man nicht zu beten!«
»Und versuchen Sie immer wieder, Niko zu erreichen?«
»Immer wieder, OLI kann es bezeugen!« Sie gab ihm mißmutig einen Stupser unter die Nase. Dann begann sie, eine Rippe Edelbitter-Schokolade in heißem Wasser aufzulösen. Als der Kaffee fertig war, goß sie ihn darüber und fügte einen Klecks Sahne hinzu. Dann suchte sie im
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