Deutschlandflug
anderen mitgeteilt hatte:
»Die Zweieinhalb sind auf dem Weg hierher. Aber ohne Kampinsky. Der Häftling hat sich heute morgen in seiner Zelle erhängt. Er ist tot.«
Drittes Buch
Die Zivilisation trägt die Züge entfesselter Mordsucht, und die Fülle der Erde verdorrt vor ihrem giftigen Anhauch.
(Ludwig Klages: ›Mensch und Erde‹, 1913)
20
Niko Grigoris gehörte zu jenen Griechen, die in den goldenen Westen gezogen waren, weil sie sich von ihrem kläglichen Fischerdasein im kargen Inselreich keine Zukunft mehr versprachen.
Er stammte von der Insel Thassos, war Anfang dreißig und hatte schon nach wenigen Jahren Aufenthalt in Deutschland so viel beiseite gelegt, daß er seine Frau Penelope, ein braves, aber etwas tumbes Weiblein, sowie seine drei Kinder nachkommen lassen konnte. Schon als Fischer hatte er sich unter seinen Kameraden durch seine technische Intelligenz hervorgetan, hatte sämtliche Motoren, Harpun- und Beleuchtungsanlagen, ja sogar die Funkgeräte repariert.
Unter seinen schweren, überhängenden Brauen leuchteten stets ein Paar vertrauensvolle helle und kluge Augen. Sein Vertrauen in die Großen der zivilisierten Welt hatte ihn nie enttäuscht: Zunächst war er im Stadtbüro der ›Lufthansa‹ in Athen angestellt gewesen: ›Sie waren alle sehr generös zu mir dort – aber Papierkram liegt mir nicht!‹ Er war rotbäckig und hatte Mühe, seinen üppigen Bart zu stutzen. ›In Deutschland bei der ›Avitour‹ haben meine Hände endlich Arbeit gekriegt.‹ Was andere als eine Degradierung empfanden, war für ihn Beförderung: ›Avitour‹ stellte ihn in der Abteilung Rettung und Sicherheit an. Es war eine harte Arbeit, die bei den Übungen aufgeblasenen Schlauchboote, Schwimmwesten und Notrutschen wieder zusammenzufalten – er liebte sie. Er war der zuverlässigste Handlanger seines Chefs, der wöchentlich drei Notübungen für die Crews abhielt: Notwasserung auf hoher See, Verlassen des Flugzeugs in neunzig Sekunden über die Rutschen, Erste Hilfe, Notbeatmung Bewußtloser, Überleben in der Wüste. Wovor sich seine deutschen Kameraden drückten, wo sie nur konnten, war ihm Berufsethos: Wiedereinsetzen der schweren, herausgerissenen Notausstiege, Zusammenrollen und Verstauen der Halteleinen, Nachprüfen der Verpflegungspäckchen. Niko mache das schon, meinten sie stets herablassend und plump scherzend, duzend, wenn Rübesam, Chef von R & S, ihnen einen körperkräftefordernden Auftrag gab. ›Nicht wahr, Niko, alter Herkules?‹
Niko tat es gern; er liebte seine Arbeit; es machte ihm nichts aus, einen Vorgesetzten als Vorgesetzten anzuerkennen. Rübesam, der fand, daß die Verachtung der deutschen Kumpanen sich eigentlich gegen sie selbst richten sollte, entdeckte bald, daß er dem Griechen wirklich keinen Gefallen tat: Er wollte gar nicht entlastet werden; er liebte seine Arbeit.
Das rauhe Fischerleben in der Ägäis hatte seinem Gesicht schon früh eine lederartige Haut voller Risse, Falten und grober Poren beschert; er trug die Spuren seines Mannesdaseins stolz und offen und begriff die deutschen Frauen nicht, die sich für die nichtssagenden Kindergesichter der Jünglinge begeisterten. Wußten sie nicht, wie schön, wie harmonisch, wie voller Aussagekraft ein schicksalgeprägtes Antlitz sein konnte?
Vor einem Monat hatte Niko eine Begegnung gehabt, die, wenn nicht sein Leben, so doch seine Freizeit zu beeinflussen begann.
Wie Dr. Jason hatte auch Niko den Kühkopf kennen- und liebengelernt. Hier fand er die Stille und Muße, die er im hektischen Getriebe seines Berufes und des Stadtlebens so vermißte. Die Deutschen erschienen ihm mit ihrem fast selbstmörderischen Bekenntnis zur Leistungsgesellschaft ein wenig bemitleidenswert und rückständig. Er bedauerte Menschen, deren Zeiteinteilung so dilettantisch war, daß für eine zünftige Siesta keine Gelegenheit blieb.
Wenn er Nachtschicht gehabt hatte, pflegte er in seinem sorgfältig gepflegten VW hinauszufahren an den Altrheinarm und dort eine gute, ruhige Stunde am Ufer des Flusses oder in den Weidenauen zu verbringen. Hier wurde er an sein geliebtes Griechenland erinnert. In einem Spezialitätenladen hatte er sich eine Hasche Retsina, griechisches Brot und Sardellen oder eine kalte Hammelkeule besorgt. Diese kurzen Episoden erschienen ihm die wundervollste Belohnung nach harter Arbeitszeit und Streß zu sein.
Und hier hatte er Hanna kennengelernt. Eines Tages, als er auf dem Parkplatz vor der Stockstadter
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