Deutschlandflug
zu denken. Sie stellte sich eine lokale Zerstörung irgendwo weit, weit entfernt von ihr vor … Aber da war die ›rapide Dekompression‹! An irgendeiner Schweißstelle des Rumpfmantels konnte durch die Detonation ein Riß entstanden sein; und jetzt, ›wumm‹, donnerte der Luftüberdruck durch diesen zunächst winzigen Spalt ins Freie und riß ihn auf: ›Rapide Dekompression‹! Die Masken fielen noch heraus, Kondensationsnebel durchwirbelte die Kabine … keinem der Passagiere gelang es mehr, die Masken vor den Mund zu pressen …
»Und außerdem«, hörte sie Dollinger erklären, »finden über achtzig Prozent der ohnehin seltenen Flugunfälle bei Start und Landung statt. Da ist an Abspringen nicht zu denken!«
»Also gut, gut …« Die Dame aus Stuttgart fuhr nervös mit ihrem Finger an der Scheibe auf und ab. Margot dachte: Wenn man diese Linien als Grafik sichtbar machen würde, ergäbe das ein künstlerisches Zeugnis der Angst … »Kein Absprung! Aber ich möchte hier raus! Raus! Hören Sie?«
»Wie wäre es, wenn ich Ihnen einen phantastischen Rheinhessen-Wein brächte? Eine Spätlese von 1974?«
Margot fiel nichts Besseres ein. Aber, wie schon so oft in früheren Zeiten – das Mittel wirkte noch immer.
»Gut, Kindchen! Bringen Sie mir einen Rheinwein! Wenn er wirklich gehaltvoll ist!«
Für Niko begann eine spannungsreiche, märchenhafte Zeit. Hanna ließ keinen Zweifel daran, daß sie sich in den einfachen Mann von der Insel Thassos verliebt hatte.
Der Kühkopf mit seinen Wanderwegen und stillen Waldpfaden wurde zur Hintergrundlandschaft für ihre Liebe. Der Frühling war kühl, aber außergewöhnlich freundlich für April.
Wenn sie sich aufwärmen wollten, fuhren sie, wie Dr. Jason, hinüber aufs Festland in die Erfeldener ›Altrheinschenke‹ und tranken einen Schoppen Kirschwein aus eisgekühlten Gläsern. Ihren Lieblingsaufenthalt bildeten die Auwälder der Knoblochsaue. Ein schmaler Streifen der ursprünglichen Wildnis am Ostufer des Rheins war geblieben. Trotz des Baulärms auf dem neuen Flughafen konnte man hier noch immer die alte Abgeschiedenheit ahnen. Eine schmale, aber dichte, verwilderte Baum- und Strauchgardine isolierte den letzten Rest des ehemaligen Vogelschutzgebietes von den Abfallhalden am Rand des Flughafens. Dort, wo der Altrhein wieder in den Hauptstrom zurückfloß, lagen sie eines Tages, als Hanna fragte: »Was genau, Niko, treibst du eigentlich bei dieser Fluggesellschaft? Flugscheine ausstellen?«
»Ich arbeite für Rettung und Sicherheit!«
»Was ist das? Fallschirme zusammenfalten?«
»Die gibt es nicht an Bord von Verkehrsflugzeugen. Ich rüste die Maschinen mit Schwimmwesten und Rutschen und Notsendern aus …«
»Notsender! Warte mal … Welch ein Zufall! Ich habe einen guten Bekannten, der studiert an der technologischen Abteilung. Er treibt Forschungen über diese Flugzeugnotsender. Er arbeitet an einer neuen Entwicklung. Er interessiert sich für alles, was auf diesem Gebiet auf dem Markt ist.«
»Interessant!« sagte Niko und zog sie dichter zu sich heran.
»Das sind doch diese Stahlzylinder, man wirft sie ins Wasser, und sie beginnen zu senden …«
»Wir haben an Bord der ›Avitour‹- Flugzeuge noch eine andere Art. Sie ist fest eingebaut im Flugzeugbug. Sie soll bei einer Notwasserung die Lage des Flugzeuges markieren, sich anpeilen lassen.«
Hanna wurde lebhaft.
»Das wird ihn maßlos interessieren. Das muß ich ihm berichten …«
… Und eine Woche später, als sie wieder an derselben Stelle bei einer Flasche Retsina lagen:
»Hör mal, Niko. Stimmt das, daß es sich bei diesem zweiten, festeingebauten Sender um einen Spezialversuch der ›Avitour‹ handelt? Mein Bekannter ist informiert, wie du siehst.«
»Das stimmt, ja!« Niko sah einem Schwarm Distelfinken nach, die über das Krüppelholz davonstoben. »Aber mehr kann ich ihm darüber nicht sagen.«
»Er hat eine große Bitte: Könntest du ihm, leihweise natürlich, nicht einmal so einen Spezialsender mitbringen? Für einen Tag? Es interessiert ihn für seine Arbeit.«
Niko schrak auf.
»Auf gar keinen Fall, Hanna. Das ist verboten. Unmöglich, Firmeneigentum aus dem Gelände der ›Avitour‹ zu bringen!«
»Schade!« sagte Hanna.
Auf dem Rhein tuckerten Schlepper und Motorbarkassen vorbei. Vom Otto-Lilienthal-Platz drang der gleichförmige Lärm der Bagger und Zementmischmaschinen herüber wie ein Schleier.
»Komm!« sagte Niko und küßte sie zärtlich auf den
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