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Deutschlandflug

Titel: Deutschlandflug Kostenlos Bücher Online Lesen
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vergeuden. Freilich war er froh, in dieser Situation nicht die umgekehrte Kombination neben sich zu wissen.
    Bloch ließ nicht von seinen Kriegserinnerungen ab:
    »Wissen Sie überhaupt, wie das damals war? Im Krieg, mit einem Sturzkampfbomber unterwegs nach merry old England mit seinem konzentrischen Abwehrfeuer?«
    »Wenn es Sie erleichtert – in unserer Situation …«
    »Allein schon die Scheinwerfer. Wir hatten ja damals noch keine ausreichenden Blindfluginstrumente. Plötzlich, in den Lichtkegeln, war der Horizont fort. Man hing haltlos im Raum wie in einer Kugel aus weißer Watte. Nur die Detonationswolken der Flak gaben einen Bezugspunkt. Ein beißender Korditgeruch durchzog das Cockpit, das damals noch Kanzel hieß. Aber die Predigt, die wir von dort hörten, war die der Gewalt, der Vernichtung und des Todes.«
    »Das alles haben Sie ja damals auch selber gebracht – in Ihrem Sturzkampfbomber.«
    »Wenn das Ziel auf der Glasscheibe unter meinen Beinen bis zur Abkipp-Marke durchlief, bereitete ich meinen Vogel zum Sturzflug vor: Propeller auf größere Steigung. Kraftstoffzusatzpumpen einschalten. Kühlerklappen schließen. Höhenmesser einstellen und Abfangsignal auf 1.000 m über Grund justieren. Wir hatten schon damals Automatik an Bord. Die Ju 88 wurde automatisch aus dem Sturzflug abgefangen.«
    »So ähnlich, wie eine DC-10 nach dem Steigflug automatisch in der vorgewählten Höhe abfängt?«
    »So ähnlich. Heute würde man den Check vor dem Sturzflug als Pre-Dive-Check bezeichnen. Man brachte die Trimmräder auf die Sturzflugmarken. Man schaltete das Reflexvisier ein. Man regelte die Helligkeit des Abkommkreises. Man stellte den Aufsatzwinkel ein.«
    »Das sind ähnliche Verrichtungen, wie sie die Terroristen wahrscheinlich angewandt haben, um unsere Bombe einzustellen!«
    »Ich bitte Sie! Damals war Krieg!«
    »Für die Terroristen ist heute Krieg! Wo liegt der Unterschied?«
    »Wenn Sie das nicht erkennen, Mahlberg … Okay.
    Man drosselte die Motoren fast bis auf Leerlauf, fuhr die Sturzflugbremsen hydraulisch und stellte die Ju 88 durch Verstellen der Höhenruderflosse auf den Kopf. Man stürzte sich ins Abwehrfeuer, korrigierte die Maschine mit vorsichtigen Ruderausschlägen. Wenn das Hupsignal kam, durfte man nicht mehr korrigieren, sondern mußte gleichmäßig weiterstürzen. Man drückte den roten Knopf am Steuerhorn – die Bomben fielen.«
    »Unsere Bombe ist noch nicht detoniert.«
    »Ich verstehe Sie wirklich nicht … Wenn die Maschine dann automatisch mit 5-g-Beschleunigung abfing, tat man gut daran, den Kopf gegen die Rückenlehne zu drücken. Sonst wurde er auf die Brust gedrückt. Wir verloren dabei ohnehin das Bewußtsein. Wenn der graue Vorhang vorbei war, schossen wir steil nach oben. Vollautomatisch … Was meinten Sie eigentlich eben mit Ihrer Zwischenbemerkung?«
    »Ich meinte: Eine Bombe ist eine Bombe. Ihre Opfer sehen immer gleich scheußlich aus. In wessen Namen und für welches Vaterland auch immer sie geworfen wird.«
    »Mahlberg: Ich will Ihnen nichts Böses. Wir haben andere Sorgen. Aber eine private Frage: Sind Sie Kommunist?«
    »Pazifist.«
    »Das ist doch das gleiche, oder?«
    »Interessant zu hören! Bisher hieß es immer: Die Kommunisten erstreben rücksichtslos die Weltherrschaft! Jetzt sind sie plötzlich Pazifisten!«
    »Ich meinte es umgekehrt!«
    »Das ist natürlich ganz was anderes! Ich habe hier eine interessante Information von unserem INS: Wind aus 340 Grad mit 110 Knoten. Ein saftiger Orkan! Der fegt jetzt in 35.000 Fuß über Hamburg hinweg. Und unten ist Windstille.«

21
    Dollingers Nachbarin, die Bratschensolistin aus Stuttgart, begann zu zittern. Ihre Kinnlade zuckte, und ihre Wangenhaut vibrierte wie eine angezupfte Saite. Sie flüsterte:
    »Ich will raus hier! Ich halte diese Spannung nicht mehr aus!«
    Sie sagte das tonlos vor sich hin, als wolle sie niemanden stören mit ihren Ängsten. Dollinger wandte sich ihr zu. Im Mischlicht, das aus Leselampe und Fenstertageslicht entstand, zeichnete sich plastisch auf der ihm zugewandten Halsseite eine Warze mit einem einzelnen Härchen ab.
    Eine Künstlerin! dachte er. Eine schöpferische Frau, die in ihrem Bratschenspiel, wenn man so will, Gott nahe ist auf ihren kosmischen Ausflügen – und jetzt nichts als Angst und Verzweiflung und Warzenhaar!
    »Wir haben alle unsere Probleme«, erwiderte er phrasenhaft. »Wir wollen alle raus. Aber es geht nicht!«
    »Weshalb nicht?« beharrte

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