Deutschlandflug
chaotisierender auf den Menschen aus als Feuer. Er hatte Bilder gesehen von Stewardessen in brennenden Flugzeugen, die drängten sich in Panik vor dem Feuer an dem rettenden geöffneten Ausgang vorbei in die äußerste Ecke, um dort jämmerlich zu verbrennen, statt durch die rettende Tür zu springen.
Ihm fiel der Film ein, der an Bord lief. Um sich abzulenken, fragte er Brinkmann nach dem Titel.
»Irgend so ein alter Schmarren: ›Papillon‹. Haben Sie schon mal erlebt, daß an Bord moderne Filme gezeigt werden?«
Jetzt zeigte sich, wie dünn die Wand zwischen unterkühlter Selbstbeherrschung und Emotion war. Bloch brauste auf:
»›Papillon‹! So eine Idiotenidee! Wissen Sie, daß es in dem Film nur so wimmelt von Greuel- und Folterszenen? Halten Sie das für eine besonders glorreiche Idee?«
»Aber ich bin unschuldig!« stotterte der Bordingenieur.
»Dafür dürfte unsere Puserette Frau Gundolf zuständig sein!« sagte Mahlberg mit einer Spur von Schadenfreude.
Aber bei Frau Gundolf war Bloch vorsichtig. Sie war für ihn immerhin eine erfahrene Frau, die einen einwandfreien moralischen Lebenswandel führte. Derartigen Damen gegenüber brachte er gern seinen Ehrenkodex und sein Bedürfnis, Kavalier zu spielen, an. Wenn es nach ihm ginge, wäre der Handkuß bis heute nicht abgeschafft worden. Sie war Mutter von zwei fast schulpflichtigen Kindern; ihr Lebenswandel nötigte ihm Bewunderung ab. Außerdem war sie schön, verführerisch und gebildet; Bloch äußerte sich daher behutsam:
»Wollen mal sehen, was dahintersteckt.«
Interessante Leute an Bord kennenlernen: Hatte Margot Gundolf wieder an eine Gelegenheit dazu geglaubt? Sie bemüht sich, hinter die Motive zu kommen, die sie wieder an Bord getrieben hatten. Illusionen, nichts als Illusionen … Deprimiert ließ sie sich zurück in den Sitz der hintersten Bereitschaftsstation fallen. Hier, auf Station 4 L, war man isoliert von allen Vorgängen in der Kabine. Der Film lief noch; die Passagiere würden umherlaufende Stewardessen nur als Störung empfinden. Gleich, nach Filmende, würde sie voll da sein.
»Der Captain hätte Sie gern gesprochen!«
Eine Kollegin stand vor ihr. Der Film war zu Ende. Sie erhob sich.
»Okay, ich komme.«
Sie ging nach vorn; ein langer Weg. Sie kämpfte gegen ihre Phantastereien an; schmerzhaft kam ihr die Realität zu Bewußtsein. Die gewaltige Masse vor ihr war durch die Zwischenschotts eines preisgekrönten Innenarchitekten mehr recht als schlecht aufgesplittert worden. Vielleicht waren das alles nur Illusionen; Illusionen, die sie den einzelnen unterschoben hatte? Persönlichkeiten, Individuen – wo gab's die noch im Zeitalter der Masse? Auch die Crews traten immer nur in Massen auf; wer sich absonderte, war ein Einzelgänger. (Diese Bezeichnung wurde seltsamerweise immer nur negativ gebraucht.) Man ging gemeinsam ins Kino (hatte keiner einen speziellen Film, den er sehen wollte?), gemeinsam ins teuerste Steaklokal (wollte niemand gerade an diesem Abend mal Eierpfannkuchen essen?), gemeinsam an die Beach (wollte denn niemand in einer Elfmanncrew mal irgendwann den alten Heidegger oder Sartre lesen?), gemeinsam, und das war schon viel (!), in die Schlangenfarm (kam niemand auf die Idee, in den nahegelegenen Busch zu fahren, wo es echte wilde Schlangen gab, harmlose Nattern sogar, so daß die halbseidenen Jünglinge in der Crew nicht Heulen und Zähneklappern kriegten?). Und endlich fand man sich gemeinsam auf irgendeinem Hotelzimmer ein und soff bis zum frühen Morgen; aber immer nur Whisky oder Gin und Bier. (Konnte es nicht wenigstens mal Rum sein oder Cherry Heering oder Tia Maria oder gar so etwas Ausgefallenes wie polnischer Wodka? Gab es niemals irgendeinen in einer Elfmanncrew, der wirklich etwas von Drinks verstand und eine eigene, individuelle Meinung hatte?)
Sie quetschte sich an den Kolleginnen vorbei, die in der vorderen Galley neue Drinks vorbereiteten; der Film hatte durstig gemacht.
Und die Passagiere: Vielleicht waren sie genauso gleichgültig, uninteressiert, wollten weiter nichts als ihr Bier? Ließen sie sich sonst einen uralten Film aufzwingen, für den sie auf der Erde keine Mark Eintrittsgeld zahlen, keine Minute opfern würden? Vielleicht gab es auch unter ihnen keine Persönlichkeiten – niemanden, der sich einfach auf sein Zimmer zurückzog, wenn ein Dutzend Kollegen, Kumpel, Kameraden am Stammtisch weitersaufen wollten? Vielleicht waren sie über ein gutgebratenes Steak tatsächlich
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