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Deutschlandflug

Titel: Deutschlandflug Kostenlos Bücher Online Lesen
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vordersten Graben gerissen wurden. Gab es keine erhabeneren Gedanken angesichts der Todesstunde?
    Über Gießen hatte Bloch, völlig zusammenhanglos für Mahlberg, geäußert, weibliche Schönheit gehöre nicht in ein Magazin, weibliche Schönheit gehöre ins Bett und solle auf dem Rücken liegen!
    In den letzten Stunden des Deutschlandflugs hatte er immer wieder Karin vor sich gesehen. In diesen Stunden hätte er bei ihr liegen können, wenn ein böses Geschick ihn nicht auf diesen Wahnsinnsflug geschickt hätte.
    »Und noch was!« fuhr Bloch zusammenhanglos fort. »Fürchten Sie ja nicht, durch diese zusätzliche Belastung einen Herzinfarkt oder Magengeschwüre zu kriegen. Wissen Sie, wo sich seelischer Streß zuerst zeigt? Na, Brinkmann?«
    »Keine Ahnung!«
    »Im Hintern!« Er dozierte: »Zwei Drittel aller unter Streß stehenden Männer leiden an Hämorrhoiden oder Würmern! Sie werden mit ihren Problemen nicht fertig. Die drücken sie dann oder wimmeln sie, zerlegt in klitzekleine Problemchen, in ihrem Darm!«
    »Mein Arsch ist gesund!« verkündete Brinkmann knapp.
    Eine literarische Fiktion! dachte Mahlberg. Anzunehmen, die Todesstunde schweiße die Betroffenen zusammen! Stimmt gar nicht! Jeder kämpft seinen eigenen Privatkrieg gegen das Sterben! Nicht nur gegen den Tod, sondern auch noch gegen den anderen!
    Bloch erholte sich langsam von seinem seelischen Tief. Zu Brinkmann gewandt, gab er seinen Entschluß bekannt:
    »Uns bleibt nur eine einzige kleine Möglichkeit offen.« Er ließ seine Blicke über die Treibstoffvorratsanzeige gleiten. »Vor Mitternacht müssen wir landen. Wir können nur noch suchen, suchen, suchen! Sie, Brinkmann, machen sich jetzt mit Schraubenzieher und Schraubenschlüssel auf den Weg in die Kabine. Nehmen Sie sich ein paar Stewardessen zur Hilfe. Sie sollen zerlegen, was nur irgendwie zu zerlegen ist! Mehr weiß ich auch nicht!«
    Wenn er die Augen schloß, sah er bereits die ›Steppenadler‹ nach der Explosion: zerfetzte Sitze, aus denen unförmiger Schaumstoff quoll, Bündel von aus der Decke gerissenen Leitungen. Zerflammte Container und Tabletts. Zerquetschte Leiber. Eine Frau, die nur noch aus Oberkörper und Gesicht bestand. Kinder, Gliedmaßen, Geschirrteile gleichermaßen durcheinandergewirbelt. Brennende Wrackteile, aus denen der süßliche Geruch der Toten quoll. Das Cockpit wie eine Ziehharmonika auf weniger als einen Meter zusammengepreßt. Die Schaumflocken der Feuerlöscher gleichmäßig gebreitet über Säuglingsleichen, Whiskyflaschen, Reisetaschen.
    »Aber wir haben doch gar keine Säuglinge an Bord!« sagte er plötzlich laut, als habe sich durch diesen Fehlernachweis das ganze Gesamtproblem ad absurdum geführt.
    Worin unterschied sich eigentlich die Zivilfliegerei der siebziger Jahre noch von der Kriegsfliegerei, deren Ende er noch miterlebt hatte, wenn auch weniger intensiv, als er gelegentlich auf Parties den Anschein zu wecken suchte. Was er erlebt hatte, reichte ihm allerdings für den Rest seines Lebens.
    Wenn er darauf zu sprechen kam, begann er etwa mit dem Vermerk, Benzingeruch an und für sich könne etwas wunderbar Klares, Herbes oder Bitteres haben; auch reiner Gummigeruch wirke nicht abstoßend … ›Und stellen Sie sich den milden Duft eines Herbstfeuers vor! Von dem Duft weicher, frisch gewaschener Haut brauche ich nicht zu sprechen. Aber so, wie die Mischung aller reinen Farben trotz Newtons anderslautender Behauptung ein häßliches, schmutziges Grau ergibt, so ergibt die Mischung dieser Geruchstypen eine wenig erfreuliche Zusammensetzung …‹
    Und als er damals im Krieg die Aufschlagstelle einer brennend abgestürzten FW-190 erreichte, war zunächst nichts weiter zu sehen gewesen als ein Kreis leicht aufgewühlter Erde. Ein einigermaßen aktiver Maulwurf hätte es besser besorgen können. Das Jagdflugzeug, das mit 800 km/h in die Erde gestürzt war, hatte sich selbständig sein Grab gegraben. In einer hundertstel Sekunde und tiefer, als der geschickteste Totengräber erledigen würde.
    »Der ganze Blechladen, grübst du ihn aus, wäre zusammengeschrumpft auf weniger als einen Meter und sähe aus wie ein vierundachtzigbässiges Akkordeon, nur weniger musikalisch …«
    Das Schlimme daran war der Geruch gewesen. Er bestand aus einer Mischung von glühendem Gummi, der sich in das Fleisch der Schenkel eingefressen hatte, und von brennendem Benzin, das über Gesicht und Rücken gespritzt war.
    Wenn man mit dem Graben begann, fand sich nichts

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