Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Deutschlandflug

Titel: Deutschlandflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
Büroangestellte ratlos.
    »Vielleicht wird das Buch hier abgeholt, logischerweise.«
    Der junge Mann legte das Buch schulterzuckend auf einen Stapel Interne Betriebsanweisungen, nur für den Dienstgebrauch.
    Bloch würde, nach der Rückkehr aus Hamilton, nachfragen. Obwohl der Besitzer keinesfalls identisch mit dem Diaverschmutzer zu sein brauchte. Der neue Einweisungsraum war seit fünf Tagen in Betrieb, und außer der ›Avitour‹ erhielten dort auch die Piloten von drei weiteren deutschen Gesellschaften ihre Auffrischungen. Er sah auf seine Seiko-Uhr. Er reckte sich und zog seine Uniform glatt. Es wurde Zeit zum Briefing.
    Bloch stutzte. Zeit schon, aber wie lange hatte er schon als Copilot, als Unteroffizier, als Gefreiter, als Schütze Arsch auf seine Vorgesetzten warten müssen! Er schlüpfte in eine Telefonzelle, die hier, im ›Avi‹ -Center, als einzige mechanische Einrichtung zu funktionieren schien, und überlegte, ob er Karin oder Rut anrufen sollte. Er entschied sich für Rut; er brauchte den Triumph. Er würde ihr, die ihn bei seiner Geliebten vermutete, sachlich mitteilen, daß er in weniger als anderthalb Stunden den Bermuda-Eröffnungsflug durchführen würde – das würde ihrer mißtrauischen Seele einen Stoß der Beschämung versetzen.
    Er wählte die Vorwahlnummer 06.174, dann 78.642. Zweimal, dreimal. Rut nahm nicht ab. Natürlich, sie hatte die halbe Nacht durchgesoffen, durchgewacht, durchgespielt in ihrem Hobbyraum. Er knallte den Hörer auf den Apparat und wählte dann die Nummer Karins.
    Rut schlief keinesfalls ihren Rausch aus. Sie war eine kleine, zähe Person, die mit sehr wenig Schlaf auskam und fast immer, wenn sie nicht unter den Nachwehen einer allzu starken Ausschweifung litt, unter einer Art von euphorischem Druck stand – High-Pressure-Lady hatte sie einer ihrer Verehrer einmal genannt.
    Kaum war Chris Bloch aus dem Haus, trieb es sie ebenfalls fort. Nach dieser Nacht spürte sie einen unbändigen Freiheitsdrang. Sie hatte, immerhin, fünf Stunden tief und traumlos geschlafen – das reichte für einen neuen Tag voller verrückter Ideen. Sie hatte hinter Chris hergeblickt, reuelos, und wenig später hatte sie sich in ihren weinroten ›Camaro‹ gesetzt und war davongejagt – in Richtung Epstein, Naurod. Das amerikanische Coupé war fast doppelt so teuer gewesen wie der Mercedes von Chris; und ihr Mann hatte ihr das Gefährt mit einer Geste des Abscheus geschenkt – er lehnte alles ab, was sich durch deutsche Wertarbeit ersetzen ließ. (›Aber die Einzelteile deiner deutschen Wertarbeit‹, warf sie ein, ›sind in Hongkong oder Singapore von Kulis hergestellt worden! Was den Wagen um die Hälfte billiger macht – aber nur für das Management natürlich!‹)
    Gefragt, weshalb ihr Mann ohne Zögern so tief in die Tasche gegriffen hatte, um ihr eines der verhaßten amerikanischen Produkte zu schenken, erläuterte sie:
    »Ein Tauschgeschäft! Der ›Camaro‹ gegen mein H.«
    »H?« fragten dann die Zuhörer stets ratlos.
    Eigentlich schriebe sich ihr Name mit H. Ruth … Aber er habe immer schon eine Aversion gegen alles verwaschen Jüdische gehabt. Und Ruth, mit H, käme doch schon in der Bibel vor! In seiner Jugend (1933-1945) habe es in Deutschland keine Ruths mit H gegeben, zumindest nicht frei herumlaufend.
    Liebte sie ihn damals noch, als sie ihr H opferte? Oder hörte sie damals auf, ihn zu lieben?
    Sie jagte die Bundesstraße nach Wiesbaden hinunter. Stellenweise Nebel, Pappelalleen wie Geistertreiben, durch die man Spießruten lief. Regenbogenfarben. Lichtreflexe. Psychedelische Kombinationen. Kadmium, Zitronengelb. Gebranntes Siena. Tümpelbraun, Fiebergrün. Irre Lichtsprünge von Rot zwischen verwaschenen Baumästen. Der Morgenverkehr Wiesbadens. Umleitungen. Stauungen. Ampeln. Endlich hatte sie Wegweiser nach Eltville, Rüdesheim vor sich. Sie fuhr einfach drauflos; ihr lockeres Haar, schwarz wie Vulkanasche, wehte im Wind. Sie fuhr, selbst im strengsten Winter, mit offenem Schiebedach. (›Kind, du holst dir den Tod!‹ Wann war ein Mensch bereit, seine falsche Weltanschauung in bezug auf Medizin zu korrigieren! Nach drei Wintern habe ich mir noch immer nicht den Tod geholt.) Sie war, abgesehen von den Nachwirkungen ihrer Exzesse, kerngesund. Gelegentlich betrachtete sie sich im Spiegel. Ihre Gesichtshaut straff, Nase um eine Nuance zu klein, aber reizvoll in der Nasenflügelpartie. Hautfarbe, die auf eine immerwährende Erregung schließen ließ.

Weitere Kostenlose Bücher