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Deutschlandflug

Titel: Deutschlandflug Kostenlos Bücher Online Lesen
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Rundfunkgebäude, gerade fertiggestellt mit vornehm gepflastertem Vorhof, wieder umgestaltet. Die Pflastersteine wurden kostspielig entfernt und ersetzt durch Platten, die noch kostspieliger waren. Man wollte nicht die Wurfmunition für Demonstranten liefern! Oder London: Die Pforten des freiesten Gerichtshofs der Welt, Old Bailey, haben Stahljalousien. Im Erdgeschoß fehlen die Fenster. Und dann erst die amerikanische Botschaft dort! Unter den Fenstern eine schräge Betonrampe, die sogar gut aussieht. Wer an ihr emporläuft, rutscht garantiert ab. Wer es trotzdem schafft, stürzt in einen tiefen Graben. Die Scheiben sind aus Panzerglas. Die breite Freitreppe kann an jedem Punkt eingesehen werden.«
    Um sie herum wogte das Chaos der Geschäftsreisenden, Gepäckträger, Urlauber, Kellner, Gastarbeiter. Aus den Lautsprechern (leider funktionierten sie, stellte Gundolf fest – sie störten) schepperte fast pausenlos die Stimme einer Ansagerin, die ihren unnatürlich tiefen Ton für ungemein sexy zu halten schien – (Gundolf kannte sie, sie hieß Eva Barlock und war als Weib eine absolute Null). Ungeachtet der Lande-, Start- und Wartedurchsagen entwickelte Dollinger seine zukunftweisenden Gedankengänge, die nur fragmentarisch an Gundolfs Ohr fluteten.
    Permanentes Mißtrauen, in wuchtige architektonische Eleganz verpackt. Demonstrantenbremsen. Stadtguerillafallen. Diskrete Forts, Kastells, Burgen gegen einen Feind, der heute Sitze aufschlitze, morgen Menschenkehlen. Die zukünftige Stadtlandschaft würde so gestaltet werden müssen, daß sich die Aggressivitäten der kommenden Freizeitgesellschaft dämpfen und abfangen ließen. Keine bröckelnde Betonmauer mehr, deren Teile als Wurfgeschosse verwendet werden konnten.
    »Freizeitgesellschaft?«
    »Freizeitgesellschaft! Wir sollten uns nicht zu sehr auf die Buhmänner der Nation spezialisieren, auf Studenten, Jusos und Juden. Verzeihung, das mit den Juden war früher, das weiß niemand mehr.« Dollingers politische Ironie war immer um einen Hauch zu kraß aufgetragen. »Die große Gefahr geht vom sogenannten friedlichen Bürger aus. Er kann zur Furie werden, wenn man ihm seine angestammten Rechte der Trägheit und absoluten Dummheit nimmt! Und im Gegensatz zu der protestierenden Intelligenz kommt er nie als Einzelgänger, immer in der Masse! Damit wird in der künftigen Architektur zu rechnen sein.
    Unberechenbare Wutausbrüche. Kaschiertes Mittelalter. Der irische Bürgerkrieg hat diese Architektur ein gutes oder schlechtes Stück weitergebracht, nimm nur Michael Calvert!«
    »Dolf, wie großartig wäre es, wenn du diese umwälzenden Gedanken bei einer Flasche Kaiserstühler …«
    Aber Dollingers Geist war eine Rakete, die, einmal gezündet, nicht mehr zu bremsen war.
    Die Schwelle von Belfast: Buckel, die in die Straßendecke eingezogen wurden und schnelles Fahren unmöglich machten – der einstige britische Brigadier, heutige Manchesterprofessor, hatte sie erfunden. Übrigens keine grundsätzliche Sache; er mußte die Idee aus dem mittleren Osten mitgebracht haben. Dort gab es an den ampellosen Kreuzungen früher tiefe Dellen, die zum Herabbremsen zwangen. Calvert hatte veranlaßt, daß der Londoner Euston-Bahnhof frei von beweglichen Gegenständen wurde. Kiesel in den Brunnen von Universitätshöfen: unzulässig! Stahl beim Hochhausbau: passé. Metall wird durch Explosivstoffe am nachdrücklichsten geschädigt. Gefälschte Säulen zur Tarnung sollten von den tragenden Elementen ablenken. Das Hauptaugenmerk der Zukunft mußte auf Lieferanteneingänge, Transportlifts und Müllschütten gerichtet werden. Hierdurch ließen sich Sprengkörper besonders leicht in öffentliche Gebäude schmuggeln – wie fast jeder Krimi ungestraft demonstrieren durfte. Die alte Bunkerarchitektur der Maginot- und Siegfriedlinie, des Atlantikwalls würde wieder hochmodern werden. Gundolf solle sich mal die Bungalowsiedlungen Floridas, der Provence oder im Tessin ansehen: die reinsten Trutzburgen! Obwohl hier nur eine symbolische Abgrenzung der Kapitalistenwelt gegen den gemeinen Pöbel gemeint war. Aber bahnbrechend! Oder mal moderne Stadtparkzäune studieren. Sie seien irreführend niedrig, aber in Y-Form gestaltet, sie verhinderten nicht nur ein Überklettern, sondern schon ein bloßes Dagegenlehnen – man stieß sich die Schienbeine wund daran!
    »Seltsam«, warf Gundolf ein, der nun doch wie so oft, gefesselt war. »Einerseits steuern wir auf eine katastrophale Ausprägung des

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