Deutschlandflug
heraus wie ein Hai aus trüben Gewässern. Mit seinem hochaufgesetzten Mitteltriebwerk im Seitenruder schien es, als sei seine Schwanzflosse von einer Harpune durchbohrt worden.
Aber die ›Steppenadler‹ war noch unversehrt; obgleich Besatzung und Passagiere nicht mehr in jener Urlaubsstimmung waren, die ihnen auf einem Flug zu den Bermudas wohl angestanden hätte. Über dem Genfer See waren sie umgekehrt. Als das gewaltige Alpenpanorama, zur Hälfte von Wolken zerteilt, so jäh von der Backbord- zur Steuerbordseite gewechselt hatte, wußten die aufmerksamen Beobachter ohnehin Bescheid. Aber wer konnte auf einem modernen Großflugzeug noch in den Genuß eines Fensterplatzes kommen? In den Wide-Body- Kabinen der Jumbos kamen zwei Fenster auf acht oder gar neun Passagiere.
Sobald er seine Anfluggenehmigung für Zürich hatte, nahm Bloch den Telefonhörer und informierte seine Passagiere. Er war für das, was er Straight-forward -Information nannte: ohne Umschweife die Dinge beim Namen nennen. Man würde auf dem schnellsten Weg in Zürich landen, weil ein unbekannter Anrufer vor einer angeblichen Bombe gewarnt habe. In Zürich würde man eine besondere Abstellposition zugewiesen bekommen; Treppen würden bereitstehen. Ohne Panik, aber sehr, sehr schnell sollten alle Passagiere das Flugzeug verlassen und sich in genügendem Abstand in Sicherheit bringen. Er wolle auf das Evakuieren über die Notrutschen verzichten, weil er Vertrauen zu der, wie er es immer nannte, disziplinierten Beweglichkeit seiner Gäste habe. Im übrigen sei dieses seine siebente Bombenwarnung, und – man sähe es ja – er lebe immer noch! Schnell und gezielt handeln; aber die Vorgänge nicht dramatisieren! Und, noch etwas: Man könne einen phantastischen Blick auf die Alpenkette haben. Das höchste Dreieck im ewigen Schnee – das sei der Montblanc, der höchste Berg Europas. Vielleicht entschädige der grandiose Anblick ein wenig für die Enttäuschung und Verzögerung.
Bloch selber, das Bordtelefon zurück auf die Halterung hängend, warf keinen Blick zum Fenster hinaus auf die Landschaft. Wenn er flog, flog er voll und ganz, nur der Technik hingegeben. Mahlberg hingegen hatte zwar ebenfalls keine übermäßige Beziehung zur überflogenen Erde, fotografierte aber gern und studierte Flußdeltas, Wüstenformationen, Küstenformen auf ihre graphische Wirkung hin. Und jetzt, als sie die Genehmigung von Zürich-Control erhielten, ihre Reiseflughöhe zu verlassen, fragte er sich, ob man der Erde nicht eine winzige Spur von Anteilnahme an ihrem Wunsch, sie heil zu erreichen, ansehen könne. Eine Ausstrahlung von Geborgenheit, sozusagen.
»Die Descent-Checks!« forderte Bloch kurz.
Mahlberg griff zur gelben Liste und las die Checks vor dem Abstieg vor:
»Sicherheitshöhe?«
»5.000 Fuß.«
»Höhenmesser?«
»Platzdruck 1.021 Millibar. Gecrosschecked!«
»Anschnallen – Zeichen?«
»An!«
»Scheiben Anti-Eis?«
»Normal.«
»Kabinendruck?«
»Gesetzt!« sagte der Bordingenieur.
»Abstieg-Checkliste gelesen!« meldete Mahlberg.
Zürich-Control sagte: »Sie sind für einen unbeschränkten Abstieg bis auf 5.000 Fuß freigegeben. Feuerwehr und Sanitätswagen sind alarmiert und stehen Ihnen nach der Landung zur Verfügung. Radar wird Sie auf dem schnellsten Weg hereinholen. Viel Glück, AVI 2000!«
»Ein Bekannter von uns ist auch an Bord!« teilte Gundolf zwischendurch mit, während seine Gedanken bei den Landevorbereitungen der ›Steppenadler‹ waren. »Dadurch wird meine Frau sich nicht so verlassen vorkommen. Vorausgesetzt, sie hat Zeit dazu!«
Ob Bloch sich nach der Landung für eine Notevakuierung entscheiden würde? Alle zweihundertundzwanzig Passagiere über die Rutschen? In neunzig Sekunden? Die DC-10 hatte neuartige kombinierte Aufblasrutschen, die gleichzeitig als Schlauchboot dienen konnten.
»Fliegt Ihr Bekannter als Crew oder Passagier?« fragte Ulla Voorst.
»Er ist Architekt. Ein ehemaliger Nachbar, bevor er auf eine kühne Villenkonstruktion in den Taunus auswich. Margot mag ihn gern. Wir haben Nächte zusammen verdiskutiert!«
Jetzt kam ihm seine Begegnung am frühen Morgen mit ihm in den Sinn. Er hatte Margot verabschiedet und war dann noch kurz durch das neue Abflugterminal gestreift. Er hatte die architektonisch beachtlich gestaltete Westwand mit den Weltzeituhren studiert. Vierundzwanzig schmiedeeiserne Zeiger zeigten auf strahlend hellem Untergrund die Ortszeiten wichtiger Weltstädte an. Die Uhrenfront
Weitere Kostenlose Bücher