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Deutschlandflug

Titel: Deutschlandflug Kostenlos Bücher Online Lesen
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aircraft-change von der D-AFFI auf die D-AFFU machen mußte und trotzdem noch rechtzeitig zur Tagesschau ins Parkhotel in Bremen kam.«
    Sie sah ihn unsicher an:
    »Jetzt wollen Sie mich verarschen, junger Mann. Oder?«
    Dieses ›oder‹ ließ jene Hintertür offen, die, wie sie später ausdrückte, straight ahead zu ihrer Namensänderung führte.
    »Kein Wort! Sonst steige ich aus; und Sie können weiterfahren. Zufällig bin ich aus ähnlichen Gründen unterwegs.«
    »Mal die alte Heimat wiedersehen, was?«
    »Rastenburg, heute Ktrzyn. Fahren Sie mit – über Allenstein?«
    »Erst mal bis Allenstein. Dann sehe ich weiter!«
    Sie kamen nach Allenstein. Aus dem Städtchen am Oberlauf der Alle im südlichen Ermland mit 50.000 Einwohnern hatte sich eine moderne, weitläufige Stadt mit mehr als 94.000 Einwohnern entwickelt, in der die größte Autoreifenfabrik Polens stand. Die Alle hieß jetzt Lyna, aber ihre Ufer waren noch immer ursprünglich, mit verträumten Weiden und Erlen bestanden und voller Vogelsang.
    Sie durchstreiften die Stadt, die während des Krieges zur Hälfte zerstört worden war. Sie schlenderten durch das Hohe Tor, über den alten Markt, zur Sankt-Jakobis-Kirche, einer neugotischen Kathedrale aus verwittertem Backstein.
    »Alles neu aufgebaut!« verkündete sie. Trotz ihres beschränkten Gepäcks hatte sie zwei Reiseführer dabei – einen deutschen, einen polnischen in englischer Sprache. »Seltsam«, monierte sie vor dem Masurischen Museum, »wie man ein Ding von zwei völlig verschiedenen Seiten betrachten kann! In der deutschen Fassung heißt es über die Burg der Ordensritter: ›In der Burg wohnte der Kapitelsvogt, später amtierte hier auch der Landprobst. Von 1516 bis 1519, 1521 und 1524 war dies Nicolaus Copernicus.‹ In der polnischen Fassung steht das ganz anders. Dort heißt es über diese Jahre, er habe von hier aus Allenstein gegen die Ordensritter verteidigt. – Was mich nicht wundern würde, bei dem Benehmen, das diese nur noch von deutschen Studienräten hochgelobten Herren an sich gehabt, haben müssen. Ich glaube, das alles hat damals sehr den Amerikanern in Vietnam geähnelt: Brandschatzung, Plünderung, niedergewalzte Dörfer, vergewaltigte Frauen … Natürlich, sie haben auch viel Gutes getan, die Herren Ordensritter … Den deutschen Osten gewonnen, zivilisiert, kultiviert – was immer man darunter verstehen mag. Auch die Amerikaner in Vietnam haben viel Gutes für die Bevölkerung getan. Arzneimittel und Verpflegung und ›Care‹- Pakete geschickt, Frauen und Kinder völlig selbstlos mit Napalm verbrannt, um sie vor dem Kommunismus zu retten …«
    »Junge, Sie gehen aber ran, was? Eigentlich wollte ich in Ruhe nach Rastenburg fahren, um mein Geburtshaus wiederzusehen .«
    »Okay; ich werde Sie nicht länger stören in Ihrer Nostalgie. Ich denke zuviel nach – ich weiß.«
    Uralte Chausseebäume – verwitterte Knorpeleichen, rotflammende Blutbuchen, silbrig schimmernde Birken. Schmale Landstraßen, die sich schüchtern und bemüht, nicht anzuecken, durch sie hindurchwanden. Kastenwindmühlen. Schindelholzkirchen, hinter mächtigen Dorfplatzlinden versteckt …
    »Hier ist die Welt noch in Ordnung!« kommentierte sie, ihm eine Schinkenstulle aus ihrer Leinentasche anbietend.
    Sie saßen im Café, das am ehemaligen Bunker des Führers bei der Wolfsschanze eingerichtet worden war. Die Getränkeauswahl war bescheiden: Kaffee (sehr aromatisch). Wodka, polnischer und albanischer Weinbrand. Sie tranken Kaffee aus winzigen Tassen, dazu zwei polnische Viniak. Vom Bunkerkomplex war außer den zersprengten Betonmauern nicht viel übriggeblieben; die Hora des Urwaldes überwucherte wild eine Vergangenheit, die fast dreißig Jahre zurücklag.
    Der Himmel rötete sich schwach; es ging gegen Abend. Scharen von Nebelkrähen wirbelten durch den bewölkten Himmel. Mit einem Hauch von Zärtlichkeit sah er sie an.
    »Hätte ich mir in Frankfurt auf der FDZ nicht träumen lassen, daß ich meinen Geburtsort mit Ihnen gemeinsam wiedersehen würde.«
    Der Wind wirbelte Blätter über die verlassene Dorfstraße. Sie waren die einzigen Gäste des Tages; und sie hatten das bedienende Mädchen erst aus dem angrenzenden Stall herbeibitten müssen.
    »Enttäuscht?«
    »Enorm. Geradezu gepeitscht davon!«
    »Waren Sie zufrieden mit mir?«
    Sie hatte lange, dunkle Wimpern. Er spürte, wie ihn trotz des kalten Tages eine warme Welle durchrann. Alles war wie damals gewesen: Die vier Linden

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