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Deutschlandflug

Titel: Deutschlandflug Kostenlos Bücher Online Lesen
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des ›Univac‹ -Systems zeigten Code-Nachrichten, die ihm plötzlich wie Botschaften von einem anderen Planeten erschienen:
    0130
    OC 0379/77 CANX AVI 822 OPTG SKED CAS 1700 PCAT
    Eine simple Message, die ihm kaum dechiffrierbarer erschien als eine Schriftrolle vom Roten Meer. Das einzige, was er aus allen elektronisch produzierten Buchstaben herauslas, war, daß Margot, daß seine Frau in Lebensgefahr war. Als könne er dadurch ihre Sicherheit beschwören, zwang er seine Gedanken zurück, auf jenen Tag, an dem er sie kennengelernt hatte.
    Die Umstände dabei waren kaum weniger außergewöhnlich als dieser Tag gewesen.

17
    Thomas Gundolf fuhr mit seinem Polskie Fiat die E 81 von Warschau nach Allenstein hinauf. Es war Herbst; die Straße war übersät mit blaßgelben Blättern, die der Sturm zu früh von den Chausseebäumen gerissen hatte. Schmal, aber ausgezeichnet gepflegt, wand sie sich unter einem wildbewegten Himmel nach Norden – ins Land seiner Geburt.
    Er war zum erstenmal seit Kriegsende hinter dem, was jahrzehntelang als ›Eiserner Vorhang‹ bezeichnet worden war. Trotz der Fremdartigkeit, die von den polnischen Ortsnamen und Straßenschildern ausging, fühlte er sich fast wie zu Hause und durch und durch wohl. – Eine Empfindung, die er immer hatte, wenn seine persönliche Freiheit in einem anderen Land gewährleistet war: durch einen Mietwagen zum Beispiel, den er in eigener Regie fahren konnte, wohin er wollte.
    Sie stand am Straßenrand, kurz vor Mlawa und kurz vor der ehemaligen Grenze zwischen Polen und Ostpreußen. Sie trug die übliche Reisekluft der herumreisenden Jugend von 1972: zerfranste blaue Jeanshosen, zerfranstes blaues Hemd, zerfranste blaue Jacke, zerfranste blaue Leinentasche. Obwohl er lieber allein weitergefahren wäre, tat sie ihm mit ihrem verwehten Haar, ihrer zerbrechlichen Jungmädchenfigur leid. Er hielt sie für eine Französin. (Darüber mußte sie später oft und herzlich lachen.)
    Sie sprang ins Auto, atmete tief aus, lächelte ihn dankbar an und stellte sachlich fest:
    »Auch aus Deutschland, nicht wahr? West oder Ost?«
    »Frankfurt …« Weil auch das die Lage noch nicht eindeutig klärte: »Am Main.«
    »Frankfurt am Main?« Sie lachte hell auf. »Die Welt ist klein!«
    »Ich weiß nicht, wie Sie hierhergekommen sind«, Thomas gab Gas und überholte ein Pferdefuhrwerk. »Aber es ist nicht jedermanns Sache, im Jahr 1972 durch die DDR und Polen per Anhalter nach Masuren zu trampen. Und dann treffen irgendwo zwischen Warschau und Danzig zwei Menschen zusammen – die stammen auch noch aus der gleichen Gegend! Wohin wollen Sie eigentlich?«
    »Nach Norden. Irgendwohin!«
    Ihre Augen waren muschelgrau. Wenn sie lachte, bildete sich unter ihrer Unterlippe eine winzige Falte. Was ihm sofort auffiel: ihr Körper stand im Gegensatz zu ihrer nachlässigen, ambitionslosen Kleidung. Ihre Haut verriet intensive Pflege, die Augenbrauen waren dezent, aber sorgfältig nachgezogen, ihre langen Fingernägel makellos. Zwischen Kuklin und Napierki, zwei winzigen Kaffs mit alten Bauernhäusern unter windschiefen Rieddächern, Ententeich und Kopfsteinpflaster, verriet sie ihm, daß sie Stewardeß der ›Avitour‹ und auf einem Zweitage-Stop in Warschau sei. Thomas lachte laut auf.
    »Gundolf – Flugdienstzentrale der ›Avitour‹. Die gleiche Firma … Das gleiche Hotel, schätze ich. Orbis-Europejski an der Krakowskie Przedmiescie. Teilnehmer eines Meetings europäischer Fluggesellschaften über Möglichkeiten des Ost-Tourismus. Das Auge des großen Quandt ist überall!«
    Sie tippte ihm auf die Schulter:
    »Anhalten, bitte. Ich möchte aussteigen.«
    Er war so verblüfft, daß er stoppte – direkt vor einem Laster, der Gummireifen geladen und den er gerade erst überholt hatte.
    »Gefällt Ihnen meine Frisur nicht?« Er versuchte, ironisch zu sein.
    Sie hatte die Tür schon geöffnet; es war ihr ernst. Wellen von Unmut flogen über ihre Stirn; ihre Nasenflügel bebten.
    »Dann kann ich gleich im Scheiß-Stinkhotel bleiben, verdammt, Kaviar löffeln; und auf irgendeinem Crewzimmer das ewig uralte Thema Nummer eins durchhecheln: die Firma, ›die Firma, die Firma‹! Ich bin rausgetrampt, um zu sehen, ob der Himmel noch blau, die Felder noch grün sind.«
    »Okay, okay … Und wenn ich Ihnen verspreche, kein Wort über die Quandtentheorie zu verlieren noch das alte Motiv zu variieren: Wie ich nach dem verspäteten approach der AVI 223 am 25.3. um 11 Uhr 17 noch

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