Deutschlandflug
bekannten Mailänder Innenarchitekten Petro Magnelli entworfen worden. Im Gegensatz zu größeren Gesellschaften, die ihre Jumbokabinen in phantasieloser Kahlheit und kalter Nüchternheit anboten, bemühte sich ›Avitour‹ um gemütliche Atmosphäre an Bord.
Die Trennwände der ›Steppenadler‹ waren mit Farb-Kupferstichen aus dem Zeitalter der Ballonfahrt dekoriert: Blanchard und Jeffries bei der Kanalüberquerung am 7. Januar 1785. Genaue Abbildung der aerostatischen Maschine, mit welcher Mr. Montgolfier am 21. November Anno 1783 auf dem Schlohlatz la Muette den ersten Versuch machte. Wahre Abbildung derjenigen Luft-Maschine, in welcher der Hochfürstl. Thurn und Taxische Hofrath Jos. Max Freyherr v. Lütgendorf in Augsburg bei guter Witterung aufsteigen wird.
Rechtzeitig zur Eröffnung des Otto-Lilienthal-Platzes war in allen ›Avitour‹-Flugzeugen der vordere Eingang umgestaltet worden: An der Trennwand zum Cockpit war eine Photoleinwand mit dem Bild des Lilienthalschen Gleitflugzeugs aufgezogen worden. Mit diesem Apparat hatte er sich 1896 den Fotografen gestellt. Seine beweglichen Schwingenspitzen wurden von einem winzigen Kohlensäure-Gasmotor getrieben. Dieses Schwarzweißdekor führte zu den farbigen Reproduktionen der Kabinen hinüber; so erhielt der Fluggast eine kurze, aber geschmackvoll gestaltete Lektion über die Ballonfahrt-Geschichte.
Die bunten, künstlerisch gestalteten Ballonhüllen mit Goldgirlanden, Allegorien, Schnörkeln und Inschriften hatten in Margot anfangs ein Gefühl der Geborgenheit zu wecken vermocht. Jetzt erschienen sie ihr fremdartig und beklemmend.
War es Angst, was sie empfand?
Ja, es war die nackte Angst, die sie vor der Undurchschaubarkeit der Ecken, Nischen, Kleiderablagen spürte. Sie kam sich wie ein Tiefseetaucher vor, der sich umringt sieht von Höhlen, Röhren und bodenlosen Felslöchern – alles halb verborgen unter dem nachtblauen Schleier der Dämmerung, verwischt, beschattet, verzerrt. Hinter jedem Geschirrack konnte der Tod lauern, jede, jede Schalterbewegung ihn auslösen.
Die Toiletten waren ihr am unheimlichsten. Die Terroristen brauchten ihren Teufelsapparat nur in einem der Eimer deponiert zu haben und vom Kot zu spülen zu lassen … Sie wußte: Einer der Stewards hatte auch darin herumgestochert, rücksichtlos sich den Gestankwellen ausgesetzt; nachdem er derart vier Toiletten bedient hatte, begannen die Passagiere der umliegenden Sitzreihen beunruhigt um sich zu blicken. Es war nicht das, was man unter einem luxuriösen Eröffnungsflug ins Ferienparadies der Bermudas verstand. Aber, so hatte er sich hinterher geäußert: ›Lieber in der Scheiße ersticken als zerfetzt werden!‹
Wenn sie sich auf einen der Crewsitze hockte, um einen Augenblick auszuspannen, sah sie Schatten durch die Kabine huschen. Als solle die Bombe von Geisterhand ausgelöst werden. Manchmal glaubte sie, ihn aufzucken zu sehen – den grellen Stichflammenschein der Detonation. Es war ein Feuerzeug, Dampf der Kaffeemaschine, eine Kurve, in der die Sonne durch die Scheiben glitt. Wenn sie mit der zitternden Hand hinter uneinsehbare Regalecken tastete, wähnte sie, das eiskalte glatte Metall der Bombe zu fühlen.
Ihre Angst wurde zur Panik, wenn sie gar nichts tat. Dann war sie dem blindwaltenden Schicksal noch hilfloser ausgeliefert. Selbst das vertraute Pfeifen der Frischluftdüsen kündete ihr Unheil an, das Zischen der Auftauöfen jagte ihr Schauer über den Rücken.
Wenn man auf bestimmten Sitzpositionen den Kopf schräg hielt, konnte man die Unterflurgeräusche wahrnehmen: das Kreischen der Hydraulikpumpen, das Glucksen der Ölrückläufe, das Rumpeln und Rauschen gestauter Luft, hydraulisch bewegter Klappen und Gestänge. Eine ganze Kadenz pfeifender, wispernder, fauchender Töne und Geräusche mischte sich in das Rauschen des Fahrtwinds, das Klappern der Galleycontainer. Obwohl sie mit allem vertraut war, erschien ihr jetzt alles fremdartig und nie gehört – auf jeden Fall Unheil kündend.
Sie kämpfte mit sich, nicht kopflos davonzurennen. Wohin? Sie war eingeschlossen in einer ausweglosen Röhre aus Dural und Kunststoff. Sie drückte ihr Gesicht in den Arm und weinte lautlos vor sich hin.
Zur gleichen Zeit war Gundolf für drei Minuten allein in seiner Zentrale – Ulla auf dem Weg zu Quandt, Allermann mit einem Telex beim Besatzungseinsatz.
Sofort fiel die Stille, die kalte Herrlichkeit der Technik über ihn her und bedrückte ihn. Die Bildschirmgeräte
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