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Deutschlehrerin

Deutschlehrerin

Titel: Deutschlehrerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Taschler
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Februar 2012
Von: M. K.
An: Xaver Sand
    Du bist aber neugierig! Er hieß Martin, war Regisseur am Landestheater und wir waren fast zwei Jahre zusammen. Ich beendete die Beziehung, weil ich nicht genug für ihn empfand. Bei zwei anderen Beziehungen verlief es ähnlich, ich empfand nie genug.
    Und du, hast du eine Freundin zurzeit?
    Drei Stunden später
Von: Xaver Sand
An: M. K.
    Liebe Mathilda,
    nein, ich habe momentan keine Freundin, verspüre aber auch kein Bedürfnis danach, eine zu haben, es fehlt mir nichts und ich fühle mich auch nicht einsam, na ja, ich gebe zu, manchmal fühle ich mich durchaus einsam. Meine letzten Beziehungen in Berlin verliefen schräg und endeten alle in einem Desaster oder seltsam gleichgültig, ich denke an keine von ihnen gerne zurück, nicht einmal Namen fallen mir ein.
    Xaver
    Drei Minuten später
Von: M. K.
An: Xaver Sand
    Lieber Xaver,
    deine Freundin vor zwei Jahren nannte sich Cat, obwohl sie Corinna Soundso hieß, und sie war eine Tattookünstlerin.
    Mathilda
    Vier Minuten später
Von: Xaver Sand
An: M. K.
    Danke, dass Du meiner Erinnerung auf die Sprünge hilfst ☺! Woher weißt Du das? Hast Du mich die letzten sechzehn Jahre durch einen Detektiv überwachen lassen?
    Gesendet: 1. März 2012
Von: M. K.
An: Xaver Sand
    Hey, du warst ein berühmter Jugendbuchautor, ab und zu fand und findet man Artikel über dich in Zeitschriften, ich habe sie alle gesammelt. Vor zwei Jahren las ich in der Bunten einen Artikel über dich, daneben war ein Bild von dir und deiner gegenwärtigen Freundin Cat abgebildet. Ihr beide kamt aus einem Berliner Nachtclub und wart stockbetrunken, habt randaliert und einen Fußgänger attackiert. Die Journalistin schrieb über dich, dass der einstmals berühmte Jugendbuchautor, dessen Sohn vor Jahren entführt wurde, schwer alkoholkrank ist und sich einem Entzug unterziehen will. Stimmt das?
    Mathilda
    Gesendet: 2. März 2012
Von: Xaver Sand
An: M. K.
    Liebe Mathilda,
    es stimmt, dass meine letzte Freundin Tattookünstlerin war und sich Cat nannte, aber das mit der schweren Alkoholkrankheit und dem Entzug stimmt nicht, das fällt vermutlich unter journalistische Freiheit. Ich habe jahrelang sicherlich zu viel getrunken, doch ein Suchtkranker war ich nie, und seit ich in Schuroth wohne, habe ich das Problem selbst in den Grif bekommen, ich trinke jetzt nur an manchen Abenden ein Bier oder ein Glas Wein.
    Seit dem Tag, an dem Jakob entführt wurde, mache ich die Hölle durch. Dieser Tag zerstörte mein Leben, und es blieb zerstört, alles zerbrach, meine Existenz ist seither ein Scherbenhaufen, nein, ich selbst bin an vielen Tagen ein Scherbenhaufen, ich fühle oft, dass ich mich fortwährend fragmentiere und in tausend Splitter zerbrösele. Ich wache schweißnass vor Angst in den Nächten auf und glaube, ihn schreien zu hören.
    Mathilda, bald stehen wir uns gegenüber, ich kann Dir nicht beschreiben, wie sehr ich mich darauf freue, wie neugierig und aufgeregt ich bin! Die Aussicht, Dich in Kürze wiederzusehen, hat mich in den letzten Wochen aufrechterhalten. Mir wurde erst jetzt bewusst, dass ich, wenn ich meine Vergangenheit vor Augen habe, nur an unsere Beziehung gerne zurückdenke. Ich meine es ernst: Die Zeit mit Dir war am schönsten.
    Xaver
    P. S.: Wir sehen uns am Sonntagnachmittag, alles Liebe bis dahin!

MATHILDA
    Mathildas Mutter Martha war 1926 geboren worden und mit fünf Geschwistern auf einem großen Bauernhof aufgewachsen, eine halbe Autostunde von Linz entfernt. Als Älteste musste sie schon als Kind viel mithelfen und nach der Schule arbeitete sie als landwirtschaftliche Helferin bei ihrem älteren Bruder, weil die Familie ohne ihre Arbeitskraft nicht auskam. Oft zwölf Stunden am Tag rackerte sie, meistens ohne irgendeinen Lohn dafür ausgezahlt zu bekommen und ohne versichert zu sein. Mit über dreißig heiratete sie Paul Kaminski, der aus Innsbruck kam und Hilfsarbeiter bei einer Baufirma war, und anfangs wohnten sie in einer Kammer auf dem Bauernhof, bis sie eine Wohnung in einem Sozialwohnbau in Linz erhielten. Von ihrer Familie schied sie im Streit, da der Bruder sich weigerte, ihr eine kleine Mitgift auszuzahlen.
    Da die einzige Schwester Pauls, Maria, kinderlos blieb und sie sie außerdem nur selten besuchten, wuchsen Mathilda und ihr Bruder ohne jede Verwandtschaft auf. Ihre eigene Familie enthielt die Mutter ihnen eisern vor. Mit einer Menge unterschiedlichster Kinder spielten und stritten sie im Hof der Wohnanlage, und später

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