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Deutschlehrerin

Deutschlehrerin

Titel: Deutschlehrerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Taschler
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schlossen sie sich in ihrem winzigen Zimmer ein, das sie notdürftig mit einem Vorhang abteilten. Sie versuchte zu lesen, während Stefan mit seinen Kopfhörern Musik hörte.
    Die Mutter blieb zunächst bei den Kindern zu Hause und begann, als Stefan in den Kindergarten kam, in einem Baumarkt als Reinigungshilfe zu arbeiten. Eine andere Arbeit fand sie nicht, und sie war sehr unglücklich darüber, keinen Beruf erlernt zu haben. Damals fing ihre Verbitterung an und mit ihr machte sich das Glück, das ohnehin nur bescheiden gewesen war, gänzlich aus dem Staub.
    Nie konnte es Mathildas Mutter verwinden, dass sie von ihrer Familie nichts geerbt hatte. Nicht einmal Bett- und Tischwäsche hatte sie mitnehmen dürfen, nicht einmal hundert Schilling hatte man ihr zur Hochzeit beigesteuert, obwohl sie der Familie zuliebe auf eine Ausbildung verzichtet und jahrelang gratis daheim geschuftet hatte, so lamentierte sie bei jeder Gelegenheit. Die Großbauerntochter, die holzvertäfelte Kammern und weite Wiesen gewohnt gewesen war, fand sich in der kleinen Mietwohnung im Sozialbau nicht zurecht, sie verstrickte sich in ihrem Neid und Hass und ließ sich gehen. Im Grunde wünschte sie sich das Dorfleben zurück, sie sah sich als Bäuerin auf einem eigenen Hof, als eine Herrin, die nach Belieben schalten und walten konnte. Verbittert, unglaublich fett und ungepflegt saß sie in ihrer Freizeit herum und starrte in den Fernseher. Obwohl die Mutter laut, dominant und raumgreifend war, gab es nie Fröhlichkeit oder gemeinsame Spiele oder Gelächter, am Wochenende wurde nichts gemeinsam unternommen. Mit Mathilda keifte sie jeden Tag mehrmals, sie war ihr regelrechter Blitzableiter, an ihr entlud sich ihre gesamte Frustration, sie bezeichnete sie als hässlich, dick, strohdumm, als eine, die es zu nichts bringen würde. Als Kind hatte Mathilda Angst vor der Mutter, später, da war sie ungefähr zwölf, begann sie sie zu hassen.
    Manchmal riefen die Großmutter oder die Tante an und luden die Kinder ein, zu ihnen auf den Bauernhof zu kommen, doch die Mutter erlaubte es ihnen nie. Fortwährend schimpfte sie über ihre Familie, besonders über ihren Bruder, der damals den Hof übernommen hatte, und seine Frau, wie Verbrecher stellte sie sie dar, wie Monster erschienen sie Mathilda und Stefan, Mathilda hatte sogar Albträume von ihnen.
    Als Mathilda sieben war, bekam Stefan schwere Asthmaanfälle und die Mutter musste mit ihm ins Krankenhaus, da der Vater arbeitete, brachte er sie kurzerhand auf den Bauernhof, wo sie drei Wochen bleiben durfte. Es war das Paradies für sie.
    Zuerst war sie vollkommen verwirrt, warum nichts so war, wie die Mutter es dargestellt hatte, rein gar nichts, da gab es keine bösen, geizigen Leuteschinder, sondern nur ruhige, fleißige, freundliche Menschen, die das Leben positiv sahen und nicht ständig über alles jammerten.
    Die Oma bürstete Mathilda jeden Morgen die Haare und flocht sie zu Zöpfen, das hätte die Mutter nie getan, sie ließ sie Teig kneten, erzählte Geschichten von früher, massierte ihr den Bauch, als sie Bauchweh hatte. Jemand berührte sie und sie fühlte sich gut. Ihre Tante nahm sie an der Hand und führte sie in den Stall, wo sie die Kälber streichelte, sie durfte das prall gefüllte Euter der Kühe angreifen und kuhwarme Milch trinken. Aber das Schönste war das Grün, die Stille, die Weite und der Duft der Wiesen, stundenlang streifte sie alleine herum. Einmal lag sie lange in einer Wiese, betrachtete die Blumen und Insekten um sich herum, sah abwechselnd in den blauen Himmel hinauf oder zum dunklen Wald hinüber und plötzlich empfand sie die Welt als dermaßen schön, dass ihr Tränen kamen.
    Ihr Onkel und ihre Tante hatten drei Kinder, Matthias, Helmut und die kleine Anna, vier Jahre jünger als sie, gemeinsam teilten sie ein großes Zimmer und hatten jeden Abend bei Polsterschlachten eine Menge Spaß, auch untertags steckten sie stets zusammen. Die drei bemühten sich um Mathilda und bezogen sie in ihre Spiele und ihre Aufgaben auf dem Hof mit ein, sie wurde weder gehänselt noch ausgelacht, weil sie so wenig vom Landleben wusste; bevor sie in die Sonntagsmesse gingen, studierten sie mit ihr ein, was sie wann zu sagen oder zu tun hatte, damit sie sich nicht blamieren würde. Das erste Mal erfuhr sie, was ein richtiges Familienleben bedeutete. Sie war unglücklich, als sie zurück in die Stadt musste, in die enge Wohnung, die ihr jetzt noch viel enger vorkam, in den verdreckten Hof,

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