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Deutschlehrerin

Deutschlehrerin

Titel: Deutschlehrerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Taschler
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in dem es kein Fleckchen Gras gab und an dem die Autos vorbeirasten.
    Mit hellblauem Dirndl bekleidet und die dicken Zöpfe kunstvoll zu einer Kranzlfrisur um den Kopf geschlungen, betrat Mathilda zaghaft die Wohnung und sah, wie ihrer Mutter das Gesicht zusammenfiel. Sie rastete völlig aus und schrie sie an, ob sie denn glaube, jetzt eine große Bauerstochter zu sein, das sei sie nicht, sie sei ein Nichts, alle vier wären sie ein Nichts und Niemand. Sie öffnete ihr mit ruckartigen Bewegungen die Zöpfe und nahm die Nähschere in die Hand, lachend stand sie mit der Schere in der Hand da und schaute in das erschrockene Gesicht des Kindes. Als der Vater mit dem kleinen Koffer zur Tür hereinkam, legte sie die Schere auf den Tisch zurück und schickte Mathilda in ihr Zimmer, um sich umzuziehen.
    Zwei Mal noch durfte sie später für ein paar Tage zu ihrer Oma fahren, weil sie nicht mehr aufhörte zu betteln, doch so wunderschön wie beim ersten Mal war es nicht mehr. Beim dritten Besuch war Stefan dabei, alles drehte sich um ihn und sie war furchtbar eifersüchtig.

MATHILDA UND XAVER SEHEN EINANDER NACH SECHZEHN JAHREN WIEDER
    Xaver: Darf ich dich zum Mittagessen einladen? Als Entschuldigung für meine unüberlegte, dumme, präpotente Aussage gestern Abend? Als Entschuldigung für mein feiges, unverzeihliches Hinausschleichen vor sechzehn Jahren?
    Mathilda (lacht): Du darfst.
    Xaver: Kennst du ein Restaurant hier in der Nähe?
    Mathilda: In der Querstraße ist ein nettes Café, da kann man gut zu Mittag essen.
    Xaver: Gehen wir?
    –
    Xaver: Weißt du, was diese eine Schülerin mich gefragt hat, diese pfiffige Schwarzhaarige aus der Fünften, die ein bisschen zu klein geraten ist?
    Mathilda: Valentina?
    Xaver: Ja. Ob wir verwandt sind.
    Mathilda: Das hat sie gefragt?
    Xaver: Ja, und daraufhin frage ich sie, warum sie der Meinung sei, wir wären Verwandte.
    Mathilda: Was hat sie geantwortet?
    Xaver: Sie hat gesagt: Herr Sand, Sie reden genauso gern wie Frau Kaminski, meine Deutschlehrerin, und genauso gepflegt.
    Mathilda: Gepflegt? Hat sie wirklich gepflegt gesagt?
    Xaver: Ja. Und das heißt wahrscheinlich übersetzt: Ihr alten Stinker hört euch gerne reden und redet außerdem geschwollen.
    Mathilda: Wir reden also ähnlich. Sechzehn gemeinsame Jahre prägen.
    Xaver: Mein Gott, was haben wir am Anfang viel gequasselt, weißt du noch? Paul, Georg, Karin, du und ich, wir sind ja ständig beieinander gesteckt und haben ständig geredet, geredet, geredet. Als ob es ein Wettbewerb gewesen wäre: Wer hat am öftesten den Mund offen? Es war nicht wichtig, wer die reflektierteste Meldung macht, sondern wer überhaupt am schnellsten eine Meldung macht, egal worüber. So quasi nach dem Motto: Wer schreit am schnellsten? Die ersten Jahre waren mit Sicherheit die lautesten.
    Mathilda: Für mich waren die Jahre in der Kreindlgasse am schönsten.
    Xaver: Weil dir das Unterrichten gut getan hat. Du hast mir ständig unter die Nase gerieben, dass du schon arbeitest und ich im Studium nicht weiterkomme. Dein Selbstvertrauen ist als Lehrerin um einen Meter gewachsen.
    Mathilda: Deine Mutter hat es dir ständig unter die Nase gerieben, nicht ich.
    Xaver: Da hast du recht.
    Mathilda: Mir war dein Studium völlig egal. Ich war so stolz, dass ich mit einem Schriftsteller zusammen war.
    Xaver: Du hast vor deinen Freundinnen damit angegeben.
    Mathilda: Und dich hat’s gefreut.
    Xaver: Natürlich.
    Mathilda: In der Kreindlgasse hast du so fleißig geschrieben, jeden Tag. Ich habe dich wegen deiner Selbstdisziplin bewundert und so mitgefiebert mit dir, dass du es schaffst.
    Xaver: Wenn man unsere Beziehung rückblickend in vier Phasen zu je vier Jahren einteilt, kann man sagen, dass in der dritten Phase unsere Probleme angefangen haben.
    Mathilda: Da warst du auch nicht mehr so fleißig.
    Xaver: Und meine Mutter hat auch kein Geld mehr überwiesen.
    Mathilda: Und meine Mutter hat sich gefreut über unsere Misere. Das war das Schlimmste für mich.
    Xaver: Was? Das hast du nie erzählt. Je länger wir zusammen waren, umso weniger hast du von dir erzählt.
    Mathilda: Warum hätte ich das erzählen sollen? Du hast meine Mutter sowieso nie ausstehen können.
    Xaver: Du hast deine Mutter ja auch nicht ausstehen können.
    Mathilda: Das stimmt.
    Xaver: Erzähl es mir. Warum hat sich deine Mutter gefreut?
    Mathilda: Sie war schadenfroh, das war alles. Sie hat sich gefreut darüber, dass es uns finanziell nicht gut gegangen ist, dass du mit deinen

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