Dexter
Zukunft in eine Vorspeise verwandeln würde. Und doch hatte sie, als ich auf meinem weißen Ross in angemessen schimmernder Rüstung erschienen war, einfach die Tür zugeschlagen und uns beide in die Falle gesperrt. Lag es an den Drogen, die man ihr ganz eindeutig verabreicht hatte? Oder gab sie sich dem Wahn hin, dass man ihr nicht antun würde, was man ihrer besten Freundin Tyler Spanos bereits angetan hatte?
Während mein Drang, gegen die Wände zu hämmern, ebenso nachließ wie mein Zittern, machte ich mir mehr und mehr Gedanken über sie. Sie schenkte meinen schwachen und eher komischen Versuchen, mit meiner Brechstange – auf die in diesem Fall die Bezeichnung Blechstange wohl eher zutraf – aus diesem gigantischen Stahlkasten auszubrechen, nicht die geringste Aufmerksamkeit, und als ich endlich aufgab, mich neben sie setzte und der Kälte das Feld überließ, lächelte sie nur, die Augen halb geschlossen.
Es begann mich allmählich zu reizen, dieses Lächeln. Es war die Art Lächeln, das jemand aufsetzt, der nach einem Mordsgeschäft mit Immobilien ein paar Beruhigungsmittel zu viel geschluckt hat; erfüllt von tiefer innerer Zufriedenheit mit sich selbst, mit allem, was man getan und geschaffen hat, und ich ertappte mich bei dem Wunsch, dass sie bei den Kannibalen als Erste auf dem Speisezettel gelandet wäre.
Und so kauerte ich zitternd neben ihr und wechselte zwischen Angst und Rachegedanken gegen Samantha. Als wäre ihr Benehmen nicht schon schlimm genug, weigerte sie sich auch noch, ihre Decke mit mir zu teilen. Ich versuchte, sie zu ignorieren – schwierig in einer kleinen, sehr kalten Kammer, wenn man direkt neben der Person sitzt, die man ignorieren möchte, aber ich gab mir Mühe.
Ich betrachtete die Blutbehälter. Bei ihrem Anblick wurde mir nach wie vor ein wenig schwummerig, aber wenigstens lenkten sie mich von Samanthas Verrat ab. So viel von diesem grauenhaften, klebrigen Zeug – ich wandte den Blick ab, und schließlich entdeckte ich ein Fleckchen Stahlwand, frei von Blut oder Samantha, das ich anstarren konnte.
Ich fragte mich, was Deborah machte. Egoistisch von mir, gewiss, aber dennoch hoffte ich, dass sie in großer Sorge war. Mittlerweile war ich ein wenig zu lange fort. Vermutlich saß sie zähneknirschend im Auto, trommelte aufs Lenkrad, sah auf die Uhr und fragte sich, ob es noch zu früh war, etwas zu unternehmen, und falls nicht, was das sein sollte. Die Vorstellung munterte mich ein wenig auf – nicht nur, dass sie mit Sicherheit etwas unternehmen würde, sondern auch, dass sie nervös war. Geschah ihr recht. Ich hoffte, sie knirschte so heftig mit den Zähnen, dass sie einen Zahnarzt brauchte. Vielleicht konnte sie einen Termin bei Dr. Lonoff bekommen.
Aus reiner Nervosität und Langeweile holte ich mein Handy heraus und versuchte noch einmal, sie zu erreichen. Es funktionierte nach wie vor nicht.
»Das funktioniert hier drin nicht«, bemerkte Samantha mit ihrer verschwommenen, zufriedenen Stimme.
»Ja, ich weiß.«
»Dann brauchst du es nicht mehr zu versuchen.«
Gewiss, menschliche Gefühle waren mir neu, aber dennoch war ich ziemlich sicher, dass es sich bei dem, was sie in mir erzeugte, um Ärger an der Grenze zum Abscheu handelte. »Hast du das getan?«, fragte ich. »Aufgegeben?«
Sie schüttelte leise und monoton kichernd den Kopf. »Auf gar keinen Fall. Ich doch nicht.«
»Warum um Himmels willen tust du das dann? Warum hast du mich hier eingesperrt und sitzt jetzt einfach da und grinst?«
Sie drehte mir das Gesicht zu, und mich überkam das seltsame Gefühl, sie nähme zum ersten Mal wirklich Notiz von mir. »Wie heißt du?«, fragte sie.
Ich sah keinen Grund, das für mich zu behalten – natürlich sah ich auch keinen Grund, sie nicht zu schlagen, aber das konnte warten. »Dexter«, antwortete ich. »Dexter Morgan.«
»Huch«, machte sie und kicherte wieder aufreizend. »Merkwürdiger Name.«
»Stimmt. Total bizarr.«
»Auch egal. Dexter, gibt es etwas in deinem Leben, das du unbedingt und total willst?«
»Ich will gern hier raus.«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, irgendwie was, was total … irgendwie verboten ist? Komplett falsch? Aber du willst es trotzdem, obwohl du – obwohl du nicht mal darüber reden kannst, egal mit wem, aber manchmal kannst du an nichts anderes mehr denken?«
Ich dachte an den Dunklen Passagier, und er regte sich leise, als wollte er mich erinnern, dass nichts von dem hier passiert wäre, wenn ich nur auf ihn
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