Dexter
gehört hätte. »Nein, nichts«, sagte ich.
Sie sah mich einen langen Moment an, mit offenem Mund, aber immer noch lächelnd. »Okay«, meinte sie, als wüsste sie, dass ich log, es aber nicht darauf ankäme. »Ich aber. Ich meine, es gibt etwas. Für mich.«
»Einen Traum zu haben ist wunderbar. Aber könntest du ihn nicht wesentlich einfacher verwirklichen, wenn wir hier raus wären?«
Sie schüttelte den Kopf. »Hm, nein. Darum geht’s ja. Ich muss hier sein. Oder, du weißt schon. Ich werde nicht …« Sie biss sich auf die Lippe und schüttelte wieder den Kopf.
»Was?«, drängte ich. Ihre aufgesetzte Schüchternheit ging mir so auf die Nerven, dass ich sie am liebsten geschüttelt hätte. »Du wirst was nicht?«
»Es fällt echt schwer, das zu sagen, selbst jetzt noch. Irgendwie …« Sie runzelte die Stirn, was ich als angenehme Abwechslung empfand. »Hast du denn kein Geheimnis, das … ich weiß auch nicht, für das du dich irgendwie schämst?«
»Gewiss«, erwiderte ich. »Ich habe eine ganze Staffel
American Idol
geguckt.«
»Das tut doch jeder«, sagte sie mit einer verächtlichen Geste und verzog das Gesicht. »Ich meine, etwas, das … Du weißt schon, man will dazugehören, so wie alle anderen sein. Und wenn man etwas fühlt, das einen anders macht … Man weiß, es ist total falsch, abgedreht; man wird nie wie die anderen sein – und trotzdem will man es unbedingt. Das tut weh, aber vielleicht gibt man sich deshalb noch mehr Mühe? Sich anzupassen. Was in meinem Alter vermutlich noch wichtiger ist.«
Ich sah sie ein wenig verblüfft an. Ich hatte vergessen, dass sie achtzehn und angeblich hochintelligent war. Vielleicht ließ die Wirkung der Drogen nach, was immer man ihr gegeben hatte, oder sie war froh, nach langer Zeit einmal wieder mit jemandem reden zu können. Warum auch immer, endlich zeigte sie ein wenig Tiefe, was die peinvolle Gefangenschaft einen Hauch erträglicher machte.
»Ist es nicht«, antwortete ich. »Das bleibt das ganze Leben lang wichtig.«
»Aber es tut viel schlimmer weh«, widersprach sie. »Wenn man jung ist, hat man das Gefühl, als würden alle Party machen, doch man selbst ist nicht eingeladen.« Ihr Blick wanderte, aber nicht zu den Blutbehältern, sondern zur Stahlwand.
»Ich weiß, was du meinst.« Sie sah mich auffordernd an. »In deinem Alter war ich auch anders. So zu tun, als wäre ich wie die anderen, ist mir verdammt schwergefallen.«
»Das sagst du doch nur so«, meinte sie.
»Nein, das stimmt. Ich musste lernen, mich so zu verhalten wie die coolen Typen, so zu tun, als wäre ich gut drauf, sogar zu lachen.«
»Echt?«, fragte sie mit diesem seltsamen Kichern. »Du weißt nicht, wie man lacht?«
»Jetzt schon.«
»Mach mal vor.«
Ich schnitt eine meiner glücklichen Grimassen und produzierte ein äußerst realistisches Der-war-gut-Kichern.
»Du leidest einfach an der für Teenager typischen Ichbezogenheit«, versicherte ich ihr. »Du glaubst, für dich wäre alles schwerer, weil es um
dich
geht. Tatsache ist, dass es schon immer schwere Arbeit gewesen ist, ein menschliches Wesen zu verkörpern. Insbesondere, wenn man nicht das Gefühl hat, eins zu sein.«
»Ich glaube, ich bin eins«, sagte sie leise. »Nur eben ganz, ganz anders.«
»Okay.« Ich gebe zu, sie begann, mich ein ganz kleines bisschen zu faszinieren. Wer hätte gedacht, dass sie so eine
Person
war? »Aber das muss nicht schlecht sein. Und wenn du dir ein wenig Zeit gibst, könnte es sich doch als
gut
herausstellen.«
»Ja, stimmt.«
»Aber das wird nichts, wenn wir nicht hier rauskommen … Hier drinzubleiben wäre die endgültige Lösung eines vorübergehenden Problems.«
»Schlau«, bemerkte sie.
Nun war sie wieder flapsig, was an meinen neuen menschlichen Nerven zerrte. Sie hatte gerade begonnen, interessant zu werden, und ich hatte mich geöffnet, gar angefangen, sie zu mögen, ja sogar echtes, wirkliches Mitgefühl für sie empfunden – und nun glitt sie zurück in ihre arrogante, halbstarke Du-hast-doch-keine-Ahnung-Pose, was mich ein wenig verdrossen stimmte und erneut in mir den Wunsch weckte, sie zu schütteln. »Um Himmels willen«, blaffte ich. »Kapierst du denn nicht, warum du hier bist? Diese Typen wollen dich kochen und fressen!«
Wieder wandte sie den Blick ab. »Ja, ich weiß. Das wünsche ich mir doch.« Sie sah mich aus großen, feuchten Augen an. »Das ist mein großes Geheimnis.«
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E s ist erstaunlich, wie viele Geräusche man
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