Dexter
ebenso überzeugt war ich, dass das Schloss kompliziert sein würde und ich es nicht knacken konnte, ohne deutliche Spuren meiner Anwesenheit zu hinterlassen oder Alarm auszulösen. Wollte ich unsichtbar bleiben oder einfach davon ausgehen, dass es nicht darauf ankam, wer von meinem Eindringen wusste, falls ich Samantha Aldovar wirklich fand? Deborah und ich hatten nicht darüber gesprochen, doch jetzt gewann diese Frage an Bedeutung. Ich dachte nach, und nach nur einem Moment hochintensiven Denkens beschloss ich, dass ich hier war, um Samantha zu finden, und deshalb überall nachsehen musste – insbesondere an Stellen, die ich nicht sehen sollte, wie hinter dieser verschlossenen Tür.
Weshalb ich, nachdem ich meine Courage an Ort und Stelle dingfest gemacht hatte, die Tür mit der Brechstange in Angriff nahm. Ich versuchte, leise zu sein und möglichst wenige Spuren zu hinterlassen, doch gelang mir die Lärmvermeidung ein wenig besser als die Schadensbegrenzung an dem hölzernen Türrahmen, der, als ich die Tür endlich aufgestemmt hatte, den Eindruck vermittelte, er wäre von tollwütigen Bibern attackiert worden. Aber die Tür war offen, und so trat ich ein.
Was verborgene Geheimnisse betraf, wäre der Raum für jedermann eine Enttäuschung gewesen, Steuerprüfer ausgenommen. Es handelte sich eindeutig um das Büro des Clubs, mit einem großem Holzschreibtisch, einem Computer und einem Aktenschrank mit vier Schubladen. Der Computer lief, und ich setzte mich an den Tisch und prüfte die Festplatte. Ein paar Buchhaltungsdateien, die mir zeigten, dass der Club ansehnliche Gewinne erzielte, einige Worddokumente, Standardbriefe an Clubmitglieder und angehende Mitglieder. Eine sehr große Datei hieß Zirkel.wpd und war mit einem so alten Verschlüsselungsprogramm passwortgeschützt, dass ich sie innerhalb von zwei Minuten hätte knacken können. Ich hatte aber keine zwei Minuten, deshalb erfreute ich mich nur kurz an der Naivität und machte weiter.
Sonst gab es nichts annähernd Interessantes, keine Datei mit Namen Samantha.jpg oder etwas in der Art, die mir verraten hätte, wo sie steckte. Ich durchsuchte rasch die Schreibtischschubladen und den Aktenschrank, ohne Erfolg.
Nun gut – hatte ich den Türrahmen eben grundlos zerstört. Ich hatte deswegen kein sonderlich schlechtes Gewissen, was mich sehr erleichterte, aber ich hatte viel Zeit verloren, und nun musste ich mir Gedanken machen, wie ich meine Mission beenden und hier herauskommen sollte; gut möglich, dass gerade ein Reinigungstrupp anrückte oder Kukarov zurückkehrte, um seinen Bürotürrahmen zu bewundern.
Ich verließ das Büro und zog die Tür hinter mir zu, dann wandte ich mich zur Treppe. Ich war einigermaßen sicher, die der Öffentlichkeit zugänglichen Bereiche des Clubs nicht kontrollieren zu müssen. Es war schlechterdings unmöglich, dass alle Besucher in diese Kannibalismussache eingeweiht waren – ausgeschlossen, dass Hunderte von Menschen ein solches Geheimnis bewahren konnten. Falls Samantha sich wirklich hier befand, dann in einem Bereich, der nicht öffentlich zugänglich war.
Und so lief ich die Treppe hinunter und überquerte die Tanzfläche, ohne mich weiter umzusehen. Hinter dem erhöhten Bereich, wo Bobby mit seinem Pokal gestanden hatte, betrat ich einen kurzen Gang. Er führte zum Küchenbereich und zur Hintertür, die ich von außen bewundert hatte. Die Küche war nicht sonderlich imposant ausgestattet, nur ein kleiner Herd, eine Mikrowelle, eine Spüle mit einem Gestell darüber, an dem Töpfe und mehrere sehr hübsche Messer hingen. Auf der anderen Seite befand sich eine große Metalltür, die vermutlich in einen Kühlraum führte. Sonst nichts, nicht einmal ein verschlossener Vorratsschrank.
Eher aus dem Drang, gründlich vorzugehen, begab ich mich zu der Kühlkammertür. Darin war auf Augenhöhe ein kleines Fenster eingelassen, und zu meiner Überraschung brannte auf der anderen Seite Licht. Da ich bislang davon ausgegangen war, dass das Licht erlosch, sobald man die Tür schloss, drückte ich die Nase gegen die Scheibe und spähte hinein.
Der Kühlraum war ungefähr zwei Meter breit und fast drei Meter tief. An den Wänden reihten sich Regale, in denen Unmengen von großen Behältern standen. An der Rückwand erblickte ich etwas, das man nicht oft in Kühlkammern sieht: ein altes Klappbett.
Noch seltsamer fand ich, dass das Klappbett besetzt war. Darauf hockte ein stilles, in eine Decke gehülltes Bündel,
Weitere Kostenlose Bücher