Dexter
hört, wenn man glaubt, von absoluter Stille umgeben zu sein. Ich zum Beispiel konnte meinen Herzschlag vernehmen, der in meinen Ohren pochte, und direkt neben mir atmete Samantha tief ein – und zusätzlich hörte man das metallische Surren des kleinen Ventilators, der weitere kalte Luft in die Kühlkammer blies; ja, ich hörte sogar ein Rascheln unter der Liege, auf der ich kauerte, vermutlich eine Kakerlake.
Doch trotz dieses betäubenden Lärms war das eindringlichste Geräusch das alles übertönende weiße Rauschen, das Samanthas letzte Worte hinterlassen hatten. Sie dröhnten und schepperten in der kleinen Kammer, und nach einer Weile ergaben sie für mich nicht mehr den geringsten Sinn, nicht einmal die einzelnen Silben, weshalb ich den Kopf drehte und sie anstarrte.
Samantha kauerte reglos neben mir, dieses aufreizende Lächeln im Gesicht. Sie hatte die Schultern hochgezogen und blickte geradeaus, nicht so sehr, um Blickkontakt zu vermeiden, sondern eher, als wartete sie darauf, was als Nächstes passierte, und schließlich hielt ich es nicht länger aus.
»Entschuldige«, setzte ich an. »Als ich sagte, man würde dich fressen, und du geantwortet hast, dass du genau das möchtest – wie zum Teufel hast du das gemeint?«
Sie schwieg einige Sekunden, aber endlich verblasste ihr Lächeln, und ihr Gesicht nahm einen Ausdruck verträumter Nachdenklichkeit an. »Als ich noch ganz klein war«, sagte sie schließlich, »war mein Vater ständig unterwegs, immer bei irgendwelchen Konferenzen und so. Und wenn er mal zu Hause war, hat er mir diese Geschichten vorgelesen, um es wiedergutzumachen. Du weißt schon, Märchen und so. Da gab es immer den Teil, wo das Ungeheuer oder die Hexe jemanden fressen will, und dann, na ja, dann machte er diese Fressgeräusche und tat so, als wollte er meinen Arm oder mein Bein essen. Weißt du, irgendwie, ich meine, ich war nur ein Kind und fand das toll, und ich immer; ›noch mal, noch mal‹, und er immer: ›mampf, mampf‹, und ich hab mich kaputtgelacht und …«
Samantha schwieg einen Moment und strich sich eine Strähne aus der Stirn. »Mit der Zeit«, fuhr sie ruhiger fort, »wurde ich älter. Und …« Sie schüttelte den Kopf, wobei ihr wieder eine Strähne in die Stirn fiel, die sie zurückstreichen musste. »Mir wurde bewusst, dass es nicht die Geschichten waren, die ich so toll fand, sondern mein Dad, der an meinem Arm nagte. Und je länger ich darüber nachdachte, desto mehr gefiel mir die Idee, gegessen zu werden. Von einer Hexe oder so, die ganz langsam meinen Körper grillt und kleine Scheibchen abschneidet und mich isst und die das echt …
mag.
Mich
mag,
mag, wie ich schmecke und …«
Sie holte tief Luft und erschauerte, aber nicht aus Furcht. »Dann kam die Pubertät und so. Und alle Mädchen immer so: ›Oh, ist der süß, mit dem hätt ich gern was, der dürfte alles‹, und ich kapiere das überhaupt nicht, diese ganze Quietscherei und die ewigen Vergleiche von Jungs und … Weil ich an nichts anderes denken kann, ich will nur eins:
Ich will gegessen werden.
« Sie begann rhythmisch zu nicken, ihre Stimme war leise und heiser. »Ich will bei lebendigem Leib langsam gegrillt werden, damit ich zusehen kann, wie die Leute mich kauen und schmatzen und so und sich mehr holen, bis …«
Wieder schauderte sie und zog sich die Decke fester um die Schultern, umarmte sich selbst, während ich versuchte, mir eine Antwort auszudenken, die besser klang als die Frage, ob sie es mal mit einem Psychiater versucht hatte. Doch außer einer von Deborahs Lieblingssentenzen fiel mir absolut nichts ein.
»Heilige Scheiße!«, sagte ich zu Samantha.
Sie nickte. »Ja, ich weiß.«
Darauf gab es offenbar nicht mehr viel zu sagen, doch nach einer Weile erinnerte ich mich daran, dass ich von der Stadt Miami für Ermittlertätigkeiten bezahlt wurde, weshalb ich fragte: »Tyler Spanos?«
»Was?«
»Ihr wart Freundinnen. Aber anscheinend hattet ihr nicht viel gemeinsam.«
Sie nickte, und das träumerische Lächeln glitt erneut über ihr Gesicht. »Stimmt. Außer dieser Sache.«
»War es ihre Idee?«
»Oh nein. Diese Typen hier gibt’s schon jahrelang.« Sie wies mit dem Kopf auf die Blutbehälter und lächelte. »Aber Tyler ist ein bisschen wild, oder?« Sie zuckte die Achseln, ihr Lächeln wurde breiter. »
War
ein bisschen wild. Sie hat diesen Typ bei einem schwarzen Rave getroffen.«
»Bobby Acosta?«
»Bobby, Vlad, wie auch immer. Er hat versucht, sie zu
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