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Dexter

Dexter

Titel: Dexter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Lindsay
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Dexter?
    Das war einleuchtend und logisch. Ich hatte dieses verruchte Leben geführt, um zu lernen, wie ich Lily Anne zum Licht führen konnte. Letzten Endes ergab alles einen Sinn, und obgleich bittere Erfahrung mich gelehrt hat, dass man etwas, was Sinn ergibt, aus dem falschen Blickwinkel betrachtet, spendete mir diese Erkenntnis dennoch einen gewissen Trost. Es gab einen Plan, ein echtes Muster, und endlich hatte Dexter es erkannt und konnte seine Spuren auf dem Spielbrett sehen. Ich wusste, warum ich hier war – nicht um die Bösen zu hetzen, sondern um die Reinen zu behüten.
    Mit dem Gefühl sanfter Erleuchtung und Erbauung lief ich munter am Schwesternzimmer vorbei zu Ritas Zimmer am Ende des Flurs, direkt dort, wo es sein sollte. Besser noch. Lily Anne war dort, in tiefem Schlaf an der Brust ihrer Mutter. Auf dem Nachttisch stand ein üppiger Rosenstrauß, und die Welt war wieder in Ordnung.
    Rita schlug die Augen auf und sah mich mit einem erschöpften Lächeln an. »Dexter! Wo bist du gewesen?«
    »Es gab einen Notfall bei der Arbeit«, erklärte ich, und sie sah mich verständnislos an.
    »Arbeit«, wiederholte sie, und sie schüttelte den Kopf. »Dexter – das hier ist dein neugeborenes Kind.« Und wie aufs Stichwort zappelte Lily Anne ein wenig und schlief dann weiter. Auch das beherrschte sie außerordentlich gut.
    »Ja, ich weiß«, versicherte ich.
    »Das ist nicht – wie kannst du einfach zur Arbeit gehen?« Sie klang verstimmt, auf eine Weise, die ich nie zuvor gehört hatte. »Wenn dein nagelneues Baby … Ich meine, arbeiten? Zu einem solchen Zeitpunkt?«
    »Es tut mir leid«, entschuldigte ich mich. »Deborah hat mich gebraucht.«
    »Genau wie ich.«
    »Es tut mir wirklich außerordentlich leid«, sagte ich, und seltsamerweise war das die Wahrheit. »Ich bin ganz neu in diesem Geschäft, Rita.«
    Sie sah mich an und schüttelte wieder den Kopf.
    »Ich versuche, mich zu bessern«, fügte ich hoffnungsvoll hinzu.
    Rita seufzte und schloss die Augen. »Wenigstens sind die Blumen schön, die du mir geschickt hast«, sagte sie, und auf dem dunklen Rücksitz von Dexters verruchtem Vehikel begann ein winziges Glöckchen zu schrillen. Ich hatte selbstverständlich keine Blumen geschickt. Mir fehlte die Erfahrung mit der subtilen Heuchelei des Ehelebens, um mir eine solch gerissene List einfallen zu lassen – mir war nicht einmal bewusst gewesen, dass meine Reaktion auf einen Notfall bei der Arbeit falsch war, ganz zu schweigen von der Notwendigkeit, sich mit Blumen zu entschuldigen. Selbstverständlich hatte Rita viele Freunde, die sie geschickt haben mochten, und ich kannte mehrere Menschen, die theoretisch Freunde waren – selbst Deborah konnte Opfer eines feinfühligen Impulses geworden sein, so unwahrscheinlich das auch schien. Jedenfalls bestand nicht der geringste Grund, warum ein paar duftende Blüten einen Alarm auslösen sollten.
    Aber so war es. Sie taten es – ein stetes, irritierendes
ding-ding-ding,
das definitiv bedeutete, dass irgendetwas nicht so war, wie es sein sollte. Deshalb beugte ich mich beiläufig hinüber und gab vor, an den Rosen zu riechen, wobei ich versuchte, die Begleitkarte zu lesen. Auch hier fand sich nichts Ungewöhnliches, nur ein kleines Kärtchen, auf dem
Herzlichen Glückwunsch
stand, in blauer Tinte unterschrieben mit
Ein Bewunderer.
    Aus derselben Region, in der das Alarmglöckchen schrillte, stieg ein leises, bösartiges Kichern auf. Der Dunkle Passagier amüsierte sich, was Wunder. Dexter ist vieles, aber »bewundernswert« steht nicht ganz oben auf der Liste. Soweit ich wusste, hatte ich keine Bewunderer. Jeder, der mich gut genug kannte, um mich zu bewundern, war theoretisch bereits tot, zerteilt und entsorgt. Wer also würde die Karte auf diese Weise unterschreiben? Ich wusste genug über Menschen, um ganz sicher zu sein, dass ein Freund oder Familienmitglied namentlich unterschrieben hätte, damit ihm der Dank für die Blumen nicht entging. Tatsächlich hätte ein durchschnittlicher Mensch bereits angerufen, um sich zu erkundigen. »Hast du meine Blumen bekommen? Ich wollte mich nur vergewissern, weil sie so teuer waren.«
    Ein solcher Anruf war eindeutig nicht erfolgt, denn Rita glaubte, dass die Rosen von mir waren. Genauso eindeutig hatte dieses unbedeutende Rätsel nichts wirklich Bedrohliches.
    Warum spürte ich dann, wie kleine, eisige Füße mein Rückgrat empormarschierten? Warum war ich so sicher, dass mir eine verborgene Gefahr drohte,

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