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Dexter

Dexter

Titel: Dexter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Lindsay
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Freibeuterkostümen hatte sich im Park zu Bobby gesellt, und ich hatte Gelegenheit, mich zu fragen, wie viele Kannibalen es eigentlich in Miami gab. Die Bande schwirrte wie ein Schwarm Möwen aufgeregt durcheinander und wedelte dabei mit Pistolen, Macheten und Messern. Im Zentrum des Kreises sah man fünf weitere Gestalten. Eine davon war Cesar, der Mann, den Alana in den Park geschickt hatte. Begleitet wurde er von Antoine, der anderen Wache, und natürlich Bobby. Sie schleiften einen weiteren Mann mit sich, der in sich zusammengesackt war, offensichtlich bewusstlos. Hinter ihnen marschierte ein in einen schwarzen Umhang gekleideter Mann, dessen Kapuze sein Gesicht verbarg.
    Während die Partybesucher munter blökend durcheinanderliefen, fiel der Kopf des bewusstlosen Mannes nach hinten, und das Licht erhellte seine Züge, so dass ich ihn erkennen konnte.
    Es war Chutsky.

[home]
    39
    E instein behauptet, dass unsere Wahrnehmung der Zeit nichts anderes ist als eine zweckdienliche Illusion. Ich habe nie vorgegeben, zu den Genies zu zählen, die ihn wirklich begreifen, aber zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich einen Schimmer, was damit gemeint war. Denn als ich Chutskys Gesicht sah, kam alles zum Stillstand. Die Zeit existierte nicht länger. Es war, als wäre ich in einem unendlichen Augenblick, in einem Stillleben, gefangen. In der gedämpften Beleuchtung zeichnete sich Alanas Umriss an der Reling der alten Piratenschiffattrappe deutlich ab, ihr Gesicht war zu einer Maske räuberischer Belustigung erstarrt. Hinter ihr im Park standen die fünf reglosen Gestalten in ihrem Lichtkegel, Chutsky, dessen Kopf in den Nacken gefallen war, die Wachen und Bobby, die ihn an den Armen mit sich schleiften, die fremde Gestalt in dem schwarzen Umhang, die ihnen folgte, Cesars Schrotflinte in der Hand. Um sie herum die Piratenbande in drohender Haltung, die an einen Comic erinnerte, doch zu Statuen erstarrt.
    Ich hörte kein einziges Geräusch. Die Welt war zusammengeschrumpft auf dieses eine Bild, mit dem alle Hoffnung endete.
    Und dann erhob sich in der Nähe das schreckliche, Migräne erzeugende Hämmern der Musik, die ich aus dem
Fang
kannte; jemand brüllte, und die Zeit lief weiter. Alana wandte sich von der Reling ab, langsam erst, dann mit normaler Geschwindigkeit, und wieder hörte ich Samanthas Stöhnen, das Knattern der Totenkopfflagge und das bemerkenswert laute Pochen meines Herzens.
    »Hast du jemanden erwartet?«, erkundigte sich Alana freundlich, während die grausige Normalität ihr Haupt erhob. »Ich fürchte, er wird dir keine große Hilfe sein.«
    Dieser Gedanke war mir bereits gekommen, zusammen mit einigen anderen, aber keiner bot mehr als einen semihysterischen Kommentar zu dem wachsenden Gefühl der Hoffnungslosigkeit, das gegen die Mauern von Burg Dexter brandete.
    In der Luft hing noch immer der Geruch von verbranntem Fleisch, und man brauchte nur wenig Phantasie, um sich auszumalen, dass nur allzu bald der kostbare, unersetzliche Dexter scheibchenweise dort brutzeln würde. In einer wirklich guten Geschichte mit vollkommener Hollywood-Struktur wäre dies der Moment gewesen, in dem mir ein irrsinnig gerissener Einfall kam und ich irgendwie meine Fesseln sprengte, nach einer Waffe griff und mir den Weg in die Freiheit schoss.
    Doch offensichtlich steckte ich in einer anderen Geschichte, denn in meinem Kopf herrschte, abgesehen von der erschütternden und verzweifelten Vorstellung, demnächst verspeist zu werden, gähnende Leere. Ich sah keinen Ausweg, und ich konnte das sinnlose Jammern in meinem Kopf einfach nicht lange genug abstellen, um etwas anderes zu denken als: Das war
es.
Abpfiff, alles vorbei, aufziehende Finsternis – Dexter in der Dunkelheit. Nie wieder mein wunderbares Selbst, niemals. Nichts würde übrig bleiben außer einem Haufen abgenagter Knochen und ein paar Eingeweiden, die niemand mochte, und irgendwo würden ein oder zwei Leute verblassende Erinnerungen an die Person hegen, die ich zu sein vorgegeben hatte – nicht an mein reales Ich, was tragisch schien, und das nicht einmal besonders lang. Das Leben würde auch ohne mein fabelhaftes, unnachahmliches Selbst seinen Lauf nehmen, was mir zwar nicht gefiel, jedoch unausweichlich war.
    Aus, vorbei,
finito.
    Ich nehme an, ich hätte dort auf der Stelle aus reinem Elend und Selbstmitleid sterben sollen, aber wenn das so einfach wäre, würde keiner von uns seinen vierzehnten Geburtstag erleben. Ich lebte und sah zu, wie sie Chutsky,

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