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Dexter

Dexter

Titel: Dexter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Lindsay
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werdet euch nicht mit Lily Anne streiten«, antwortete ich, abgestoßen von dem Gedanken. »Sie ist ein Baby.«
    »Ich mag keine Babys«, verkündete Astor mit trotziger Miene.
    »Dieses wird dir gefallen«, versicherte ich, und selbst ich war überrascht von der festen Entschlossenheit in meiner Stimme. Astor sah erst mich, dann ihren Bruder unsicher an, und ich nutzte ihr Zögern. »Los jetzt«, kommandierte ich. »Hinein mit euch.« Ich legte meine Hände auf ihre Köpfe und schob sie über die Türschwelle.
    Das Bild hatte sich nicht großartig verändert; nach wie vor Madonna mit Kind. Lily Anne ruhte auf ihrer Mutter, die sie mit einem Arm festhielt. Rita schlug schläfrig die Augen auf und lächelte, als wir eintraten, aber Lily Anne zuckte nur ein wenig und schlief weiter.
    »Kommt, lernt eure Schwester kennen«, sagte Rita.
    »Das sagt ihr beide andauernd«, murrte Astor. Sie blieb mit störrischer Miene stehen, bis Cody sich an ihr vorbeischob und hinüber zum Bett ging. Sein Kopf war mit Lily Anne auf einer Höhe, und offensichtlich interessiert musterte er sie einen langen Moment. Schließlich schlurfte Astor herüber und stellte sich neben ihn, wobei sie sich anscheinend mehr für Codys Reaktion als für das Baby interessierte. Wir sahen zu, wie Cody langsam einen Finger ausstreckte und äußerst vorsichtig Lily Annes winzige geballte Faust berührte.
    »Weich«, sagte Cody und streichelte zärtlich das Händchen. Lily Anne öffnete die Faust, und Cody ließ zu, dass sie seinen Finger umklammerte. Sie hielt Cody fest, und Wunder über Wunder, Cody lächelte.
    »Sie hält mich fest«, sagte er.
    »Ich will auch mal«, sagte Astor und versuchte, sich an ihm vorbeizudrängen, um das Baby zu berühren.
    »Warte, bis du dran bist«, beschied er sie, und sie trat einen halben Schritt zurück und zappelte ungeduldig, bis er endlich den Finger aus Lily Annes Faust zog und Astor zu ihr ließ. Astor wiederholte Codys Bewegung, und auch sie lächelte, als Lily Anne ihren Finger umklammerte. Während der nächsten Viertelstunde wechselten die beiden sich bei ihrem neuen Spiel ab.
    Und eine volle halbe Stunde hörten wir kein einziges Wort über Pizza.

[home]
    6
    I ch genoss es sehr zu beobachten, wie die drei Kinder –
meine
drei Kinder! – eine Bindung zueinander aufbauten. Aber natürlich hätte jedes Kind gewusst, dass es nicht lange gutgeht, wenn man sich in Gegenwart eines Erwachsenen amüsiert. Und Rita als einzige Erwachsene im Zimmer enttäuschte uns nicht. Nach ungefähr einer halben Stunde blickte sie auf die Uhr und tat den Mund auf. »In Ordnung«, sagte sie und sprach die gefürchteten Worte: »Morgen ist Schule.«
    Cody und Astor wechselten einen ihrer beredten Blicke, vollkommen lautlos, aber äußerst inhaltsschwer. »Mom«, antwortete Astor. »Wir lernen unsere Schwester kennen.« Sie zitierte Rita, die eigentlich schlecht widersprechen konnte, aber als alter Hase in diesem Spiel nur den Kopf schüttelte.
    »Ihr könnt morgen wieder mit Lily Anne spielen«, bestimmte sie. »Jetzt muss Dex… Daddy euch nach Hause und ins Bett bringen.«
    Sie sahen mich an wie einen Verräter, doch ich zuckte die Achseln. »Zumindest gibt es dann Pizza«, sagte ich.
    Die Kinder verließen das Krankenhaus beinahe so widerstrebend, wie sie es betreten hatten, doch gelang es mir dennoch irgendwie, sie durch den Ausgang zu meinem Auto zu schleusen. Um den Schrecken der vorherigen Fahrt mit ihren über der gesamten Stadt wabernden Pizzadüften zu entgehen, überließ ich Astor mein Handy, und wir waren erst zehn Minuten daheim, als unser Abendessen geliefert wurde. Cody und Astor stürzten sich auf die Pizza, als hätten sie seit einem Monat nicht gegessen, und ich konnte von Glück reden, dass ich zwei Stücke ergatterte, ohne einen Arm zu verlieren.
    Nach dem Essen sahen wir bis zur Schlafenszeit fern, dann durchliefen wir die vertrauten Rituale: Zähne putzen, in den Pyjama schlüpfen, ins Bett klettern. Ich kam mir in der Rolle des Zeremonienmeisters ein wenig seltsam vor; ich war oft genug Zeuge gewesen, aber normalerweise war Rita die Hohepriesterin der Schlafenszeit, und ich hatte ein bisschen Angst, etwas falsch zu machen. Doch klammerte ich mich an das, was Rita im Krankenhaus gesagt hatte, als ihr ein Versprecher unterlaufen war und sie mich »Dex… Daddy« genannt hatte. Jetzt war ich wirklich Dex-Daddy, und dies war meine Wirkungsstätte. Schon bald würde ich dieselben Rituale mit Lily Anne vollziehen,

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