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Dexter

Dexter

Titel: Dexter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Lindsay
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sie und ihre Geschwister durch die tückischen Untiefen der Nacht sicher ins Bett geleiten, und diesen Gedanken fand ich seltsam beruhigend. Tatsächlich hielt er mich die ganze Zeit aufrecht, bis ich endlich Cody und Astor ins Bett gesteckt hatte und die Hand nach dem Lichtschalter ausstreckte.
    »He«, rief Astor. »Du hast das Beten vergessen.«
    Ich zwinkerte, plötzlich war mir sehr unbehaglich. »Ich kenne keine Gebete.«
    »Du musst nichts sagen«, beruhigte sie mich. »Bloß zuhören.«
    Ich nehme an, dass sich jeder mit dem geringsten bisschen Selbsterkenntnis in der Gegenwart von Kindern über kurz oder lang wie ein absoluter Heuchler vorkommt, und jetzt war ich an der Reihe. Dennoch nahm ich mit feierlicher Miene Platz und lauschte dem unsinnigen Singsang, den sie jeden Abend herunterleierten. Ich war ziemlich sicher, dass sie genauso wenig daran glaubten wie ich, doch gehörte es zum Prozedere und musste deshalb erledigt werden. Dennoch fühlten wir uns alle besser, als wir es hinter uns hatten.
    »Prima.« Ich stand auf und schaltete das Licht aus. »Gute Nacht.«
    »Gute Nacht, Dexter«, sagte Astor.
    »Nacht«, flüsterte Cody.
    Normalerweise hätte ich mich jetzt zu Rita auf das Sofa gesetzt und noch eine Stunde ferngesehen, und sei es nur, um meine Tarnung aufrechtzuerhalten; doch heute Nacht gab es keinen Grund, mich der Tortur zu unterziehen und vorzutäuschen, dass ich irgendeine Sendung lustig oder interessant fand, weshalb ich nicht ins Wohnzimmer zurückkehrte, sondern den Flur hinunter zu dem kleinen Raum ging, den Rita als mein Arbeitszimmer bezeichnete. Ich hatte es bisher hauptsächlich genutzt, um dort die für mein kleines Hobby unerlässlichen Recherchen zu betreiben. Hier stand ein Computer, mit dem ich die speziellen Individuen aufspürte, die meine Aufmerksamkeit verdienten, und zusätzlich ein kleiner Schrank, in dem ich ein paar harmlose Dinge wie Paketband und reißfeste Angelschnur aufbewahrte.
    Außerdem befand sich dort ein kleiner Aktenschrank, den ich stets verschloss. Er enthielt einige Ordner mit Notizen zu angehenden Spielkameraden, und nun setzte ich mich an meinen kleinen Schreibtisch und schloss ihn auf. Momentan fand sich darin nicht sonderlich viel. Mir standen zwei Möglichkeiten zur Auswahl, doch unter dem Druck der Ereignisse hatte ich keine von beiden weiter verfolgt. Jetzt fragte ich mich, ob ich das jemals würde. Ich schlug einen der Ordner auf und sah hinein. Ein mörderischer Pädophiler, der zweimal aufgrund eines praktischen Alibis entlassen worden war. Ich war ziemlich sicher, dass ich sein Alibi knacken und seine Schuld beweisen konnte – natürlich nicht im juristischen Sinn, aber doch ausreichend, um den strengen Kriterien zu genügen, die mein Polizisten-Adoptivvater Harry aufgestellt hatte. Außerdem gab es noch diesen Club in South Beach, der mehrmals als letzter Ort aufgeführt wurde, an dem man Menschen vor ihrem Verschwinden zum letzten Mal gesehen hatte. Er hieß
Fang,
ein wirklich blöder Name für einen Club. Im Zuge einiger Vermisstenfälle war der Club in den Unterlagen der Einwanderungsbehörde aufgetaucht. Offensichtlich war die Fluktuation unter dem Küchenpersonal erschreckend hoch, und jemand bei der Einwanderungsbehörde hegte den Verdacht, dass nicht alle mexikanischen Tellerwäscher zurück nach Mexiko geflüchtet waren, weil ihnen das Wasser nicht schmeckte.
    Illegale Einwanderer sind eine wunderbar einfache Beute für Raubtiere. Verschwinden sie, folgt keine Vermisstenmeldung; Familie, Freunde und Arbeitgeber wagen nicht, sich bei der Polizei zu melden. Und so verschwinden sie in einer Zahl, die man nicht wirklich schätzen kann, obgleich ich annehme, dass sie hoch genug ist, selbst hier in Miami erstaunte Mienen hervorzurufen. Jemand in diesem Club zog offensichtlich seinen Nutzen aus dieser Situation – vermutlich der Manager, dachte ich, da er von dem ständigen Wechsel wissen musste. Ich blätterte durch die Akte und fand seinen Namen: George Kukarov. Er lebte auf Dilido Island, eine sehr hübsche Strandadresse nicht weit von seinem Club. Eine praktische Pendelstrecke zwischen Arbeit und Vergnügen: die Bücher abschließen, einen DJ einstellen, den Tellerwäscher umbringen und ab nach Hause zum Abendessen. Ich konnte es förmlich vor mir sehen – eine reizende Einrichtung, so sauber und praktisch, dass ich fast neidisch wurde.
    Ich legte die Akte einen Moment beiseite und dachte nach. George Kukarov: Clubmanager, Killer.

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