Dexter
extravagant; ich hatte, im Gegensatz zum wahren Geist der Straßen unserer Stadt, immer das Gefühl, Ankommen sei ebenso wichtig, wie auf dem Weg Angst und Schrecken zu verbreiten. Dennoch fiel es mir leicht – immerhin bin ich hier aufgewachsen, und die gegenwärtige Situation schien alle Hast und männliche Entschlossenheit zu erfordern, die mir zur Verfügung stand. Was dachte Rita sich nur? Und mehr noch, wie hatte sie die Ärzte dazu gebracht, mitzuspielen? Es ergab keinen Sinn: Lily Anne war winzig, zerbrechlich, schrecklich verwundbar, und sie so rasch in dieses kalte harte Leben zu entsenden, schien vollkommener, herzloser Wahnsinn.
Ich hielt gerade lange genug zu Hause an, um mir den nagelneuen Kindersitz zu schnappen. Ich hatte wochenlang damit geübt, weil ich perfekt sein wollte, wenn die Zeit gekommen war – aber die Zeit war zu früh gekommen, und während ich versuchte, ihn mit dem Sicherheitsgurt zu befestigen, musste ich feststellen, dass meine normalerweise so geschickten Finger sich in eisige Klumpen der Unbeholfenheit verwandelt hatten. Ich konnte den Gurt nicht durch den Schlitz an der Rückseite fädeln. Ich schob, zerrte und schnitt mir schließlich an dem Plastik den Finger, worauf ich das Ding zu Boden schleuderte und an dem Schnitt saugte.
Der sollte sicher sein? Wie konnte er Lily Anne schützen, wenn er mich schon so aggressiv attackierte? Und selbst wenn er funktionierte, wie er sollte – was nichts jemals tat –, wie konnte ich Lily Anne in einer Welt wie der unseren sicher beschützen? Insbesondere so bald nach der Geburt … Wahnsinn, sie jetzt nach Hause zu schicken, nur einen Tag alt. Typische Arroganz und Gleichgültigkeit der Mediziner; Ärzte halten sich immer für so klug, und das nur, weil sie den Kurs organische Chemie bestanden haben. Aber sie wissen nicht alles – sie wissen nicht, was mein Vaterherz mir so deutlich sagte: Es war viel zu früh, Lily Anne in diese kalte, grausame Welt zu schleudern, nur um der Versicherung ein paar Dollar zu sparen. Das konnte nicht gutgehen.
Schließlich gelang es mir, den Kindersitz zu befestigen, und ich raste zum Krankenhaus. Aber im Gegensatz zu meinen vollkommen logischen Befürchtungen stand Rita bei meinem Eintreffen keineswegs wartend vor dem Krankenhaus und wehrte Kugeln ab, während Lily Anne im Abfall mit gebrauchten Spritzen spielte. Stattdessen saß Rita in einem Rollstuhl in der Lobby, ein fest eingewickeltes Babybündel im Arm. Sie sah entspannt lächelnd zu mir auf, als ich hineinstürzte, und sagte: »Dexter, hallo, das ging aber wirklich schnell.«
»Oh«, sagte ich, während ich zu verdauen versuchte, dass offensichtlich alles bestens war. »Ich war sozusagen in der Nähe.«
»Auf dem Heimweg fährst du nicht so schnell, nicht wahr?«, bat sie.
Und ehe ich darauf hinweisen konnte, dass ich mit Lily Anne im Wagen niemals schnell fahren würde und im Übrigen der Meinung war, dass sie noch ein wenig länger hierbleiben sollte, eilte ein munterer, stark behaarter junger Mann zu uns herüber und packte die Griffe von Ritas Rollstuhl. »Hey, hier ist Daddy«, rief er. »Seid ihr fertig zum Aufbruch?«
»Ja, das ist … Danke«, sagte Rita.
Der junge Mann zwinkerte, sagte: »Alles klärchen«, löste mit dem Fuß die Bremse am Rollstuhl und schob Rita in Richtung Ausgang. Und da selbst ich mich an irgendeinem Punkt mit dem Unausweichlichen arrangieren muss, atmete ich tief und resigniert ein und folgte ihnen.
Am Auto nahm ich Rita Lily Anne ab und plazierte sie behutsam in dem aggressiven Kindersitz. Doch aus unerfindlichen Gründen schienen meine Übungen mit Astors alter Puppe bei dem echten Baby nicht zu fruchten; am Ende musste Rita mir helfen, Lily Anne richtig festzugurten. Und so war es ein vollkommen hilfloser, ungelenker Dexter, der endlich hinter dem Steuer Platz nahm, den Motor anließ und mit vielen ängstlichen Blicken in den Rückspiegel, um sich zu vergewissern, dass der Kindersitz nicht in Flammen aufgegangen war, vom Parkplatz setzte und sich in den Verkehr einfädelte.
»Nicht zu schnell«, mahnte Rita.
»Ja, Liebes.«
Langsam fuhr ich nach Hause – nicht langsam genug, um den schwerbewaffneten Zorn meiner Mitbürger zu riskieren, aber doch in Spuckweite der Höchstgeschwindigkeit. Jedes Hupen, jedes Hämmern einer bis zum Anschlag aufgedrehten Autostereoanlage schien neu und bedrohlich, und jedes Mal, wenn ich an einer roten Ampel hielt, warf ich nervöse Blicke auf die umstehenden
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