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Dexter

Dexter

Titel: Dexter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Lindsay
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alten hölzernen Fensterrahmen hinaus auf die Bay. »Scheiße«, fluchte sie. »Fahr nach Hause. Hol deine Kinder ab und häng mit deiner Polstersesselfrau rum.«
    Ich war noch nicht sonderlich lange menschlich, wusste aber trotzdem, dass in Deborah-Land etwas ganz und gar nicht stimmte, und deshalb konnte ich sie nicht einfach so verlassen. »Debs«, fragte ich. »Was stimmt denn nicht?«
    Ich sah, wie ihr Nacken sich verkrampfte, aber sie wandte weiter den Blick ab, blickte hinaus über das Wasser. »Dieser ganze Familienscheiß«, sagte sie. »Diese beiden Mädchen und ihre verkorksten Familien. Deine Familie, die dich verkorkst hat. Es ist nie so, wie es sein sollte, und es ist nie gut, aber alle außer mir haben es.« Sie holte tief Luft und schüttelte den Kopf. »Und ich will wirklich eine.« Sie drehte sich heftig zu mir um. »Und keine verdammten Witze über biologische Uhren, kapiert?«
    Um ganz ehrlich zu sein – was ich bin, wenn es sein muss –, war ich viel zu tief erschüttert von Deborahs Verhalten, um Witze zu machen, ob nun über Uhren oder etwas anderes. Aber Witz oder nicht, ich wusste, dass ich etwas sagen musste, und so kramte ich nach der richtigen Eingebung, aber alles, was mir einfiel, war eine Frage nach Kyle Chutsky, ihrem Freund, mit dem sie seit mehreren Jahren zusammenlebte. Diese Vorgehensweise hatte ich vor ein paar Jahren in einer Fernsehserie gesehen. Ich hatte sie mir regelmäßig angeschaut, um zu lernen, wie man sich in Alltagssituationen verhält, und nun sah es so aus, als würden sich meine Mühen auszahlen. »Ist mit Kyle alles okay?«
    Sie schnaubte, aber ihre Miene wurde weicher. »Scheiß auf Chutsky. Glaubt, er wäre zu alt und verbraucht und nutzlos für ein nettes junges Ding wie mich. Sagt dauernd, ich könnte was Besseres finden. Und wenn ich sage, vielleicht will ich ja gar nichts Besseres, schüttelt er nur den Kopf und schaut sorgenvoll drein.«
    Das war alles äußerst interessant, ein wahrhaft bewegender Blick in das Leben von jemandem, der schon viel länger als ich ein menschliches Wesen war, aber ich hatte absolut keine Ahnung, wie ich das konstruktiv kommentieren sollte, und spürte gleichzeitig den Druck der Uhr – der an meinem Handgelenk, nicht der biologischen. Und so, vollkommen hilflos auf der Suche nach einer Bemerkung, die sowohl tröstlich war als auch einen Hinweis auf mein Bedürfnis nach sofortigem Aufbruch enthielt, fiel mir nichts anderes ein als: »Nun, ich bin sicher, er meint es gut.«
    Deborah starrte mich so lange an, dass ich mich fragte, ob ich das Richtige gesagt hatte. Dann seufzte sie schwer und drehte sich wieder zum Fenster. »Ja. Ich bin auch sicher, dass er es gut meint.« Sie blickte hinaus auf die Bay und sagte nichts mehr, seufzte jedoch, was schlimmer war als alles, was sie hätte äußern können.
    Dies war eine Seite meiner Schwester, die ich noch nie erlebt hatte und von der ich auch nicht mehr allzu viel erleben wollte. Ich kannte Deborah als jemanden voller Schall und Wahn, der großzügig Armknüffe verteilte. Sie so weich und verletzlich zu erleben, in Selbstmitleid badend, war hochgradig verstörend. Obgleich ich wusste, dass ich etwas Tröstliches sagen sollte, hatte ich keine Ahnung, wo anfangen, und deshalb blieb ich einfach unbeholfen stehen, bis schließlich das Bedürfnis aufzubrechen stärker als mein Pflichtgefühl wurde.
    »Es tut mir leid, Debs«, entschuldigte ich mich, und seltsamerweise entsprach es der Wahrheit. »Ich muss jetzt die Kinder abholen.«
    »Klar«, erwiderte sie, ohne sich umzudrehen. »Hol deine Kinder ab.«
    »Äh. Jemand müsste mich zu meinem Auto fahren.«
    Sie wandte sich langsam vom Fenster ab und sah hinüber zum Eingang des Gebäudes, wo Ms. Stein herumstand. Dann nickte sie und erhob sich. »In Ordnung. Wir sind hier fertig.« Sie ging an mir vorbei, blieb nur kurz stehen, um sich bei Ms. Stein mit ausdrucksloser Höflichkeit zu bedanken, und lief mir schweigend voran zu ihrem Auto.
    Das Schweigen dauerte fast die ganze Strecke zu meinem Wagen an, und es war nicht sehr behaglich. Ich hatte das Gefühl, ich sollte etwas sagen, die Stimmung ein wenig aufheitern, aber meine ersten beiden Ansätze blieben wirkungslos, weshalb ich weitere Versuche einstellte. Debs fuhr auf den Parkplatz vor dem Labor und hielt neben meinem Wagen, starrte aber weiterhin mit unverändert unglücklichem Blick geradeaus durch die Windschutzscheibe.
    Ich musterte sie einen Moment, aber sie sah mich

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