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Dexter

Dexter

Titel: Dexter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Lindsay
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Wagen, um festzustellen, ob Schusswaffen in unsere Richtung zielten. Doch wundersamerweise gelangten wir unversehrt nach Hause. Die Gurte an Lily Annes Sitz zu lösen, war nicht annähernd so kompliziert, wie sie zu schließen, und im Handumdrehen hatte ich sie und Rita im Haus und auf das bequeme Sofa verfrachtet.
    Ich betrachtete die beiden, und plötzlich schien alles so anders, denn zum ersten Mal waren sie hier, daheim, und allein der Anblick meines neuen Babys in der alten Umgebung schien die Tatsache zu unterstreichen, dass das Leben neu war, wunderbar und zerbrechlich. Ich trödelte schamlos herum, saugte den Anblick in mich auf und schwelgte in dem reinen Wunder. Ich streichelte Lily Annes Zehen, strich ihr mit dem Finger über die Wangen; sie waren weicher als alles, was ich jemals berührt hatte, und irgendwie glaubte ich, ihre rosarote Frische direkt durch meine Fingerspitzen riechen zu können. Rita hielt das Baby und versank in lächelndem Halbschlaf, während ich streichelte und schnüffelte und betrachtete, bis ich schließlich auf die Uhr sah und feststellte, wie viel Zeit vergangen war, und mir einfiel, dass ich mein Auto nur geliehen hatte und dessen Besitzerin dafür bekannt war, Menschen aus geringerem Anlass verbal zu köpfen.
    »Bist du sicher, dass alles in Ordnung ist?«, fragte ich Rita.
    Sie schlug die Augen auf und lächelte, dieses uralte Lächeln, das Leonardo so wunderbar eingefangen hat, Mutter mit Wunderkind. »Ich kenn mich damit aus, Dexter«, erinnerte sie mich. »Alles ist gut.«
    »Wenn du dir sicher bist«, sagte ich mit dem nagelneuen Einfühlungsvermögen, über das ich neuerdings verfügte.
    »Ich bin sicher«, sagte sie, und sehr widerstrebend ließ ich sie allein.
    Als ich in Debs’ Auto wieder am Campus der Ransom Everglades eintraf, stellte ich fest, dass man ihr als eine Art improvisiertes Vernehmungszimmer einen Raum in einem alten Holzgebäude mit Blick auf die Bucht zugewiesen hatte. Die Pagode, wie das Gebäude genannt wurde, kauerte auf einer Anhöhe über dem Sportplatz. Es war ein wackliges altes Häuschen, das nicht wirkte, als könnte es auch nur ein einziges Sommergewitter überleben, und doch stand es schon so lange, dass es zu einem historischen Wahrzeichen geworden war.
    Als ich eintrat, sprach Deborah gerade mit einem außerordentlich gut frisierten jungen Mann. Sie funkelte mich nur kurz an und nickte, ohne den Jungen zu unterbrechen. Ich ließ mich in dem Stuhl neben ihr nieder.
    Den Rest des Tages kamen Schüler und Lehrer einer nach dem anderen in das wacklige alte Gebäude, um uns mitzuteilen, was sie über Samantha Aldovar und Tyler Spanos wussten. Alle Schüler waren klug, attraktiv und höflich, und die Lehrer schienen sämtlich ausgezeichnet und engagiert. Ich begann, die Vorteile einer Privatschulerziehung schätzen zu lernen. Wenn ich die Gelegenheit gehabt hätte, eine solche Schule zu besuchen, wer weiß, was aus mir geworden wäre. Statt eines einfachen Blutspurenanalytikers, der sich nachts davonstahl, um gewissenlos zu morden, vielleicht ein Arzt oder ein Physiker oder sogar ein Senator, der sich nachts davonstahl, um gewissenlos zu morden. Der Gedanke an mein verschwendetes Potenzial stimmte mich furchtbar traurig.
    Aber eine Privatschule war kostspielig und hatte weit jenseits von Harrys Möglichkeiten gelegen – und selbst wenn er sie sich hätte leisten können, bezweifle ich, dass er sich dafür entschieden hätte. Harry hatte dem Elitedenken immer skeptisch gegenübergestanden, er glaubte an unsere öffentlichen Institutionen. Sogar an die öffentlichen Schulen – beziehungsweise besonders an die öffentlichen Schulen, da sie die Art von Überlebenstraining boten, von dem er wusste, dass wir es brauchen würden.
    Ein Training, das die beiden verschwundenen Mädchen eindeutig nötig gehabt hätten. Gegen siebzehn Uhr dreißig, als Debs und ich die Vernehmungen beendeten, hatten wir einige interessante Dinge über die beiden erfahren, aber nichts, was darauf hinwies, dass sie in der Wildnis Miamis ohne Kreditkarte und iPhone überleben konnten.
    Samantha Aldovar blieb in gewisser Weise ein Rätsel, selbst für die, die sie so gut zu kennen glaubten. Die Schüler wussten, dass sie finanzielle Unterstützung erhielt, aber es schien niemanden groß zu interessieren. Alle sagten, sie wäre freundlich, still, gut in Mathe und hätte keinen Freund. Niemand konnte sich denken, warum sie ihr Verschwinden vortäuschen sollte. Niemand konnte

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