Dexter
hin, konnte ich keinen Schlaf finden. Sosehr ich Klischees auch verabscheue, ich warf mich tatsächlich von der einen auf die andere Seite, und keine der beiden Optionen bot Erlösung. In den kurzen Momenten, in denen ich dennoch schlief, träumte ich, und es waren keine glücklichen Träume. In der Regel träume ich nicht; ich vermute, der Vorgang fußt auf dem Vorhandensein einer Seele, und da ich ziemlich sicher bin, keine zu besitzen, bin ich, wenn ich schlafe, meistens segensreich hirntot, ohne von irgendeinem Unterbewusstsein belästigt zu werden.
Doch in den schweißigen Untiefen dieser Nacht träumte Dexter. Die Bilder waren so verdreht wie die Laken: Lily Anne mit einem Messer in der winzigen Faust; Brian, der in einem See von Blut zusammenbricht, während Rita Dexter säugt; Cody und Astor, die durch denselben grauenhaft roten Teich schwimmen. Typisch für solchen Unsinn, hatte er keinerlei Bedeutung, und doch machte sich im untersten Fach meines inneren Schranks Unbehagen breit, und als ich am nächsten Morgen endlich aufstand, war ich weit davon entfernt, ausgeruht zu sein.
Ich schaffte es ohne Hilfe in die Küche, wo Rita einen Kaffee vor mir auf den Tisch knallte, ohne ihm auch nur annähernd die Aufmerksamkeit zu widmen, die sie Brians Tasse erwiesen hatte. Und noch während mir dieser unwürdige Vergleich durch den Kopf ging, stürzte Rita sich auf mich, als könnte sie Gedanken lesen.
»Brian scheint ein toller Typ zu sein«, bemerkte sie.
»Ja, scheint so«, antwortete ich, während ich dachte, dass
Schein
und
Sein
nicht dasselbe sind.
»Die Kinder mögen ihn«, fuhr sie fort, was zu meinem undifferenzierten Unbehagen beitrug, das auch mein kaffeeloses Teilbewusstsein nicht hatte vertreiben können.
»Ja, äh …«, sagte ich, trank einen großen Schluck und drängte den Kaffee stumm, rasch zu arbeiten und meinen Verstand wieder hochzufahren. »Eigentlich hatte er noch nie mit Kindern zu tun, und …«
»Tja, dann wird es uns allen guttun«, zwitscherte Rita munter. »War er schon mal verheiratet?«
»Ich glaube nicht.«
»Weißt du das nicht?«, fragte sie schneidend. »Ich meine, ehrlich, Dexter, er ist dein Bruder.«
Vielleicht ging eines meiner neu erworbenen
Gefühle
mit mir durch, aber durch den morgendlichen Nebel brach sich der Ärger schließlich Bahn. »Rita«, knurrte ich verdrossen, »ich weiß, dass er mein Bruder ist. Du musst mir das nicht dauernd erzählen.«
»Du hättest etwas sagen müssen.«
»Das habe ich aber nicht«, erwiderte ich, vollkommen logisch, wenn auch zugegebenermaßen ein wenig gereizt. »Können wir jetzt bitte auf ein anderes Programm umschalten?«
Sie wirkte, als hätte sie zu dem Thema noch einiges zu sagen, hielt aber klugerweise ihre Zunge im Zaum. Mein Rührei jedoch war halb roh, und mit dem Gefühl echter Erleichterung schnappte ich mir schließlich Cody und Astor und floh durch die Tür. Doch unerfreulich, wie das Leben nun einmal ist, sangen sie dieselbe Leier wie ihre Mutter.
»Warum hast du uns nie was von Onkel Brian erzählt, Dexter?«, bohrte Astor, als ich den Gang einlegte.
»Ich dachte, er wäre tot«, antwortete ich, wobei ich hoffte, dass ein endgültiger Ton in meiner Stimme mitschwang.
»Aber wir haben keine anderen Onkels«, sagte sie. »Alle anderen schon, nur wir nicht. Melissa hat fünf Onkels.«
»Melissa klingt wirklich wie ein faszinierendes Individuum«, sagte ich und scherte aus, um einem großen SUV auszuweichen, der ohne ersichtlichen Grund mitten auf der Straße angehalten hatte.
»Wir hätten aber gern einen Onkel«, fuhr Astor fort. »Und wir mögen Onkel Brian.«
»Er ist cool«, ergänzte Cody leise.
Selbstverständlich war es schön zu hören, dass sie meinen Bruder mochten, und es hätte mich glücklich machen sollen, aber das tat es nicht. Es trug nur dazu bei, das Gefühl kleinlicher Gereiztheit zu steigern, das mich seit seinem Auftauchen quälte. Brian hatte etwas vor – das wusste ich so sicher, wie ich meinen Namen kannte –, und bis ich nicht herausfand, was, blieb mir nur die Ahnung drohender Gefahr. Die mich auch nicht losließ, nachdem ich die Kinder an der Schule abgesetzt hatte und zur Arbeit fuhr.
Dieses eine Mal hatte man keine enthaupteten Leichen entdeckt, die in den Straßen Miamis herumlagen und die Touristen erschreckten, und wie um dieses große Mysterium noch zu unterstreichen, brachte Vince Masuoka Doughnuts mit. Angesichts des erbärmlichen Zustands, in den mein häusliches
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