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Dexter

Dexter

Titel: Dexter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Lindsay
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vertrocknet.
»Scheiße«,
fluchte sie.

[home]
    17
    E ins der Dinge, die ich an meiner Arbeit so schätze, ist ihre Vielfalt. An manchen Tagen muss ich große, teure Geräte für supermoderne wissenschaftliche Tests benutzen; an anderen spähe ich einfach durch ein Mikroskop. Und falls es doch einmal langweilig ist, ändert sich mit jedem Tatort zumindest die Szenerie. Selbstverständlich sind auch alle Verbrechen unterschiedlich, vom gewöhnlichen, vulgären Gattenmord bis hin zu gelegentlichen, wirklich recht interessanten Ausweidungen.
    Aber in all den langen, erfahrungsreichen Jahren bei der Polizei war ich nie zuvor aufgefordert worden, meine wissenschaftliche Ausbildung und mein Geschick einzusetzen, um meine verängstigte Schwester auf eine Pressekonferenz vorzubereiten. Ich muss gestehen, dass dies auch besser war, denn wenn es Teil meiner üblichen Pflichten wäre, würde ich sehr ernsthaft erwägen, mich von der Kriminaltechnik abzuwenden und mir eine Anstellung als Lehrkraft für körperliche Ertüchtigung an einer Mittelschule zu verschaffen.
    Deborah schleifte mich in ihr Kabuff und brach dort umgehend in äußerst unattraktiven kalten Angstschweiß aus. Sie setzte sich, stand auf, lief drei Schritte in jede Richtung, setzte sich wieder und begann die Hände zu ringen. Und wie um den bereits himmelhohen Nervquotienten noch zu steigern, fing sie an zu fluchen. »Scheiße, scheiße, scheiße, scheiße, scheiße, scheiße.« Wieder und wieder, in unterschiedlicher Lautstärke und Betonung, bis ich zu glauben begann, dass sie die Gabe der intelligenten Sprache unwiederbringlich verloren hatte.
    »Debs«, unterbrach ich sie schließlich, »falls das deine Bekanntmachung sein soll, wird Captain Matthews äußerst unglücklich sein.«
    »Scheiße«, sagte sie, und ich fragte mich, ob ich sie ohrfeigen sollte. »Dexter, Jesus, bitte, was soll ich bloß sagen?«
    »Alles außer ›scheiße‹«, empfahl ich.
    Wieder sprang sie auf und trat ans Fenster, wobei sie weiterhin die Hände rang. Alle kleinen Mädchen wollen seit jeher Schauspielerin oder Tänzerin oder irgendeine Art Vortragskünstlerin werden, wenn sie groß sind – alle außer Deborah. Alles, was sie jemals vom Leben wollte – auch schon im zarten Alter von fünf Jahren –, waren Dienstmarke und Waffe. Und durch harte Arbeit, beharrliche Intelligenz und wirklich schmerzhafte Armknüffe hatte sie ihr Ziel erreicht – nur um festzustellen, dass sie Schauspielerin werden musste, um es zu behalten. Der Begriff »Ironie« wird geradezu inflationär verwendet, doch diese Situation schien nach ein wenig ironischer Belustigung zu verlangen.
    Außerdem verlangte sie nach Dexters anlässlich Lily Annes Geburt neu entdecktem Mitgefühl. Denn wie unschwer zu erkennen war, stünde ohne meine Hilfe meine Schwester im Begriff, ein für alle Mal den Beweis anzutreten, dass einiges für die Vorstellung spontaner Selbstentzündung sprach. Ich beschloss also, dass Debs nun genug gelitten hatte, stand von meinem wackligen kleinen Stuhl auf und stellte mich neben sie. »Debs. Das Ganze ist so einfach, dass sogar Captain Matthews
gut
darin ist.«
    Ich glaube, sie hätte beinah erneut »Scheiße« gesagt, aber sie riss sich zusammen und biss sich stattdessen auf die Lippe. »Ich kann das nicht«, stöhnte sie. »Diese ganzen Menschen – und Reporter –, Kameras – ich kann das einfach nicht, Dexter.«
    Ich war erfreut, dass sie sich weit genug erholt hatte, um einen Unterschied zwischen »Menschen« und »Reportern« zu machen, doch lag eindeutig noch viel Arbeit vor mir. »Du
kannst,
Deborah«, versicherte ich ihr entschlossen. »Und es wird weitaus einfacher, als du glaubst. Am Ende gefällt es dir sogar.«
    Sie knirschte mit den Zähnen, und ich vermute, sie hätte mich geschlagen, wenn sie nicht so abgelenkt gewesen wäre. »Und wovon träumst du nachts?«, meinte sie.
    »Es ist einfach«, beteuerte ich. »Wir schreiben ein paar kurze Absätze, und du musst sie dann nur noch vorlesen. Wie bei einer Buchvorstellung in der sechsten Klasse.«
    »Da hab ich versagt.«
    »Damals war ich auch nicht bei dir, um dir zu helfen«, sagte ich mit wesentlich mehr Überzeugung, als ich empfand. »Jetzt komm schon. Wir setzen uns hin und schreiben das Ding.«
    Sie knirschte mit den Zähnen und rang noch ein paar weitere Sekunden die Hände. Insgesamt schien sie einen Sprung aus dem Fenster in Erwägung zu ziehen. Doch befanden wir uns lediglich im ersten Stock, und die

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