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Dexter

Dexter

Titel: Dexter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Lindsay
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Fenster konnte man nicht öffnen, weshalb Debs sich schließlich abwandte und wieder auf ihren Stuhl fallen ließ. »Also gut«, knurrte sie durch zusammengebissene Zähne. »Bringen wir es hinter uns.«
    Man kann den Medien mit nur wenigen Polizeiklischees nahezu jeglichen Sachverhalt vermitteln, was natürlich einer der Gründe ist, warum ein sprechender Anzug wie Captain Matthews es einzig aufgrund seiner Fähigkeit, sich alle zu merken und in der richtigen Reihenfolge vorzutragen, sobald er vor einer Kamera stand, zu seinem gehobenen Rang gebracht hatte. Man benötigt nicht einmal besondere Fähigkeiten, da es wesentlich weniger Geschick erfordert als das simpelste Kartenkunststück.
    Und doch ging dieses Talent Deborah vollkommen ab, und es ihr zu erklären war, als wollte man einem Blinden ein Karomuster begreiflich machen. Insgesamt ein unangenehmes und unerfreuliches Unterfangen, und als wir uns endlich zur Pressekonferenz begaben, war ich kaum minder verschwitzt und erschöpft als meine Schwester. Der Anblick der auf uns wartenden geifernden Raubtiere auf den Stehplätzen machte es nicht besser. Deborah erstarrte sekundenlang, einen Fuß in der Luft. Doch dann drehten sich die Reporter wie auf Kommando zu ihr um und begannen, ihr die üblichen Fragen zuzubrüllen und Fotos zu schießen.
    Als ich sah, wie Deborah die Zähne zusammenbiss und die Stirn in Falten legte, holte ich tief Luft.
Sie schafft es,
dachte ich und sah mit gewissem Stolz auf meine Schöpfung, wie sie das Podium erklomm.
    Selbstverständlich hielt diese Stimmung nur an, bis sie den Mund öffnete. Danach folgte die schlimmste fünfzehnminütige Stotterei, die ich jemals erlebt habe. Deborah, die versuchte, zu einem Saal voller Polizisten zu sprechen, war erwiesenermaßen eine Zumutung. Deborah, die versuchte, bei einer Pressekonferenz zu sprechen, war eine so qualvolle Folter, dass ich überzeugt war, selbst die Männer mit den schwarzen Kapuzen, die für die Inquisition arbeiteten, hätten sich schaudernd abgewandt und jede Mitarbeit verweigert. Deborah stammelte, stotterte, verhaspelte sich und hangelte sich mühsam von Phrase zu sorgfältig polierter Phrase, so gründlich in Schweiß gebadet, dass es wirkte, als gestehe sie einen Kindesmissbrauch. Nachdem sie endlich den von mir in so harter Arbeit vorbereiteten Pressekommentar beendet hatte, herrschte im gesamten Saal mehrere Sekunden erschüttertes Schweigen. Dann jedoch leckte das Presserudel leider Blut und stürzte sich mit ungezügelter Gewalt auf Deborah. Im Vergleich dazu war alles Vorherige der reinste Kindergeburtstag; ich wurde Zeuge, wie Deborah sich langsam und sorgfältig das Seil um den Hals legte und sich nach oben zog, wo sie im Wind baumelte und zuckte, bis schließlich Captain Matthews genug gelitten hatte und sich ihrer erbarmte, indem er nach vorn trat und gebot: »Keine weiteren Fragen.« Er schubste Deborah zwar nicht gerade vom Podium, aber es war nicht zu übersehen, dass er mit dem Gedanken spielte.
    Der Captain funkelte den versammelten Lynchmob forsch an, als könnte er ihn mit seinem männlichen Blick zur Unterwerfung zwingen, und tatsächlich wurde es ein wenig ruhiger. »Nun denn«, sagte er nach einem Moment. »Die, äh, Familie.« Er hielt sich die Faust vor den Mund und räusperte sich, und mir stellte sich die Frage, ob Deborah vielleicht ansteckend war. »Mr. und Mrs., äh, Aldovar. Würden gern ein kurzes Statement abgeben.« Er nickte und streckte den Arm in einer Art halber Umarmung aus.
    Ein erschüttert wirkender Mr. Aldovar führte seine Frau zu den Mikrofonen. Sie sah erschöpft und um Jahre gealtert aus, aber als sie vor der Menge stand, riss sie sich sichtlich zusammen, trat einen Schritt von ihrem Mann fort und zog ein Blatt heraus. Und für einen Moment kamen die Reporter bizarrerweise tatsächlich zur Ruhe.
    »An die Person oder die Personen, die uns unser kleines Mädchen geraubt haben«, begann sie, dann musste sie einen Moment innehalten und sich, nur um nicht aus der Reihe zu tanzen, räuspern. »Wir besitzen nicht viel Geld, doch was wir haben oder auftreiben können, gehört Ihnen. Aber bitte tun Sie unserem kleinen Mädchen nicht weh … Bitte …« Und dann konnte sie nicht mehr. Sie vergrub das Gesicht in den Händen, und das Blatt flatterte zu Boden. Mr. Aldovar trat vor, schloss sie in die Arme und starrte wütend ins Publikum, als wüsste es, wo Samantha war, und weigerte sich, es ihm zu verraten.
    »Sie ist ein gutes Kind«,

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