Dezembergeheimnis
Sachen packen, zog sich ihr der Magen zusammen und sie tat ihr Bestes, diese Idee ganz weit weg zu schieben.
Irgendwann wurde die Haltung doch unbequem und Maria stand auf, um sich Taschentücher zu holen. Mit einem kleinen Kichern setzte sie sich neben Lea und wischte sich das verlaufene Makeup von den Wangen. »Muss ich dich jetzt auch
Mama
nennen?«
»Nur, wenn ich dir vorschreiben darf, deine Wohnung nie mehr so akribisch aufzuräumen.« Beide lachten, ehe Lea wieder ruhig wurde und Maria direkt in die Augen sah. »Ernsthaft, es ist okay, traurig und verletzt zu sein. Du musst es nicht verstecken, vor allem nicht vor mir und vor allem nicht in deiner eigenen Wohnung.«
Zuerst starrte Maria sie ein wenig überfordert an, doch dann nickte sie und griff nach dem Foto.
»Du hast recht. Vollkommen recht.« Und damit riss sie es mitten in der Hälfte durch. Und die Hälften noch mal und dann die Viertel und die Achtel, bis das Konfetti so klein war, dass sie es in die Luft warf und mit einem dicken Grinsen auf die Füße sprang.
Mit zwei Schritten stand sie vor ihrem Regal und zerrte Zeitungen und Bücher hervor und drapierte sie mit einem »Die lese ich eigentlich gerade« quer über dem Wohnzimmertisch. Danach drehte sie die Bilderrahmen auf den Kopf, zog sich eine Socke aus und feuerte sie auf den Boden, schaltete den Fernseher von
Aus
auf
Standby
und nahm den Gläsern den Untersetzer weg.
Lea sah ihr mit offenem Mund dabei zu, wie sie nach kurzem Überlegen an die Kommode trat und versuchte, eine Schublade aus den Schienen zu ziehen.
»Maria! Maria, stopp! Ich glaube, du hast deinen Punkt klar gemacht! Du musst nicht alles verwüsten!«
Nach einem kurzen Zögern stimmte Maria ihr zu, ehe sie lachte, fast befreit, und sich die Haare aus dem Gesicht strich. »Gott, das tat gut! Danke, Lea. Jetzt hab ich Lust auf Kuchen!«
»Aber der ist alle … «
»Egal, komm, Jacke an, ich lad dich ein!«
Als sie zwei Stunden später wieder bei Marias Wohnung ankamen, fühlten sich beide herrlich erfrischt. Für zwei volle Stunden hatten sie einfach nur das schöne Wetter und zwei weitere leckere Stückchen Obst- und Schokotorte genossen und sich dabei über Gott und die Welt unterhalten, als ob Männer in dieser gar nicht existent wären. Da wurden Kindheitserinnerungen und Auflaufrezepte ausgetauscht, die neusten Literaturentdeckungen diskutiert und während Maria von ihrem neu entdeckten Hobby des Tarotkartenlegens erzählte, berichtete Lea von ihrer bevorstehenden Geschäftsreise.
Es tat gut, endlich jemanden in diese Pläne einzuweihen, zumal sie bisher noch keine Gelegenheit gehabt hatte, auch nur irgendwem davon zu erzählen und sich auch nur ein Fitzelchen eines Ratschlages einzuholen. So lange sie sich erinnern konnte, war dies die erste Entscheidung, die sie ohne jegliche Rücksprache getroffen hatte – und sie selbst war immer noch nicht ganz überzeugt, ob es die richtige gewesen war. Noel wusste auch immer noch nichts davon.
Maria war jedoch freudig überrascht und entgegen Leas anfänglicher Sorge keineswegs neidisch, enttäuscht, missbilligend oder Schlimmeres.
»Und Frau Löwenberger hat wirklich deine Geschichten gelesen? Gleich nachdem du von deinem Verlag abgelehnt wurdest? Ich glaube, ich hätte die danach erst mal keiner Menschenseele mehr gezeigt … «
»Glaub mir … wenn ich jetzt drüber nachdenke, ist mir das auch absolut schleierhaft.« Lea schüttelte den Kopf. »Ich schätze, ich war danach einfach so in meinem Stolz gekränkt, dass ich noch eine zweite Meinung einholen musste. Die mir bestätigt, dass ich nicht wirklich völlig talentfrei bin.«
»Und die hat dir Frau Löwenberger gegeben?« Maria hob eine Augenbraue, woraufhin beide schmunzelten.
»Nicht direkt, nein. Eigentlich hat sie gar nichts weiter dazu gesagt … «
»Dann gib sie mir! Immer nur kritzelst du in deine Notizbücher … Jetzt hab ich dich so lange auf Arbeit gedeckt, jetzt will ich auch endlich mal was sehen!« Lea versicherte Maria, ihr nach ihrer Rückkehr was mitzubringen und natürlich auch ausführlich Bericht zu erstatten.
Kurz bevor sie sich verabschiedete, brach Maria die ungeschriebene Regel der letzten Stunden. »Bitte versprich mir eins: Sei vorsichtig wegen Noel. Vertrau ihm nicht zu leichtsinnig.«
Lea stutzte ob der plötzlichen Themenwiederkehr und winkte mit beiden Händen ab. »Mach dir keine Gedanken um mich. Wie gesagt: Ich passe schon auf mich auf.«
»Ich weiß, das sagst
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