Dezembergeheimnis
traurig. Und ich möchte nicht drüber reden.«
»Okay, auch gut. Wie wäre es denn, wenn wir ein bisschen spazieren gehen? Oder wir gehen ins Kino oder ein bisschen shoppen?«
Maria lächelte. »Nach dem neuen Wagen hab ich kein Geld zum Einkaufen. Aber ein Spaziergang wäre vielleicht wirklich ganz nett … «
»Klar ist es das! Und das Wetter draußen ist richtig schön. Komm, mach den Teller leer, dann geht’s los!«
Mit einem Grinsen piekste Maria die letzte Mandarine auf und gemeinsam erhoben sich die jungen Frauen, um sich Mütze, Schal und Jacke überzustreifen. Während Maria die Handtasche aus dem Schlafzimmer holte, wartete Lea im Wohnzimmer. Auf dem Bücherregal neben dem Fenster fiel ihr ein Foto ins Auge. Ein einfacher Abzug, bei dem sie aber schwören könnte, dass er vor Weihnachten noch nicht dort gelegen hatte. Aber gerade, als sie ihn sich näher betrachten wollte, schallte es »Ich komme gleich« durch den Flur, gefolgt von einem roten Haarschopf.
»Bist du fertig?«
»Ist … ist das da ein Bild von euch?«
»Oh, das hab ich wohl noch übersehen … Das werde ich nachher noch wegräumen.« Maria verharrte einen Moment, in dem sie es von der Ferne aus betrachtete, ehe sie den Kopf schüttelte. »Oder, weißt du was? Ich räume es einfach gleich weg. Ehe ich es wieder vergesse.«
Als sie sich in Bewegung setzte, kam Lea ihr zuvor. »Warte mal … Kann ich es sehen?«
»
Das
Bild? Lieber nicht, ich sehe furchtbar drauf aus.« Maria hatte es inzwischen vom Regal genommen und hielt es mit beiden Händen vor der Brust. Von dem ungetrübten Lächeln war nicht mehr viel übrig. Lea traute sich nicht von der Stelle.
»Ich dachte nur, weil ich ihn ja noch nie gesehen hab … «
»Ach so. Ja. Na ja, dann … hier.« Während sie ihr das Bild gab, atmete sie tief durch. »Ist ja nicht so, als ob es jetzt noch wichtig wäre.«
Lea blickte auf das Foto und Maria und Chris blickten zurück. Genau genommen nur Maria, denn sein Blick war liebevoll auf ihre Freundin gerichtet, die zwischen Schneeflocken und Atemwölkchen mit roten Wangen schüchtern in die Kamera lächelte. Sein ausgestreckter Arm verriet Christian »Chris« Armleuchter als Fotograf. Sie drehte das Bild um, doch die Rückseite war unbeschriftet.
Sie hob den Kopf und streckte Maria das Foto wieder entgegen, doch beim Anblick ihrer Freundin blieb ihr die Luft im Hals stecken. Marias Augen waren starr auf ihre Hände gerichtet, die mit dem Reißverschluss der Jacke beschäftigt waren, und dass ihr die Tränen über die Wangen rannen, schien sie entweder selbst noch gar nicht realisiert zu haben oder vehement zu ignorieren.
Lea hatte fragen wollen, ob sie ihm wirklich geglaubt hatte, ob er seine Versprechen wirklich so überzeugend formuliert hatte, ob das Foto ein Geschenk gewesen war, ob sie sicher schon damit abgeschlossen hatte, wie lange es her war, dass Maria sich von einem Mann ein bisschen begehrt gefühlt hatte und noch so viel mehr. Doch all diese Antworten waren so offensichtlich, dass sie ihr selbst auf der Zunge lagen, und so sagte sie gar nichts, legte das Foto beiseite und half Maria aus der Jacke.
»Ich, ich … e-es tut mir leid, ich … «, schluchzte sie, was Lea mit einem »Pft« quittierte und sie fest umarmte.
»Komm, wir setzen uns.« Als Maria sich jedoch neben Lea setzen wollte, schüttelte die nur den Kopf und deutete auf ihren Schoß. Maria lachte leicht und entgegnete was von »Wir sind doch erwachsene Frauen und ich wäre auch viel zu schwer«, doch Lea zog sie einfach zu sich. Wie ein kleines Mädchen wurde Maria von ihr gehalten und nach und nach entspannte sie sich wirklich.
»Du musst nicht immer stark sein«, flüsterte Lea. »So zu tun als ob, bringt gar nichts, außer dass es in dir noch mehr wehtut.«
Maria nickte nur, denn die Tränen hatten sie stumm gemacht. Eine Weile lang saßen sie einfach nur so da und keiner sagte etwas. Lea hätte auch gar nicht gewusst, was sie hätte sagen sollen – noch nie hatte sie solchen Kummer durchleiden müssen. Ihr Vater war zwar abgehauen, aber dafür war ja immer Bernhard da und ihre Eltern waren seitdem recht glücklich zusammen gewesen. Sie selbst hatte noch keine Beziehung hinter sich und wenn man den Erfahrungsschatz nicht mitzählte, den sie bei Sallys ständig rotierenden Partnern gesammelt hatte, war sie ziemlich ahnungslos. Nur bei dem Gedanken daran, was passieren würde, würde Noel ebenfalls von jetzt auf gleich seine
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