Dezembergeheimnis
schön, bei euch zu sein.«
Ihre Mutter japste theatralisch. »Bernhard, hast du das gehört? Das Vögelchen ist nach Hause gekommen!«
»Wir wollen nicht übertreiben«, kam es sowohl von Lea als auch Bernhard zurück, der den Kopf aus der Wohnzimmertür steckte.
»Hey, Noel, du auch da«, bemerkte er mit einem kurzen Nickgruß, ehe er an ihm vorbeitrat und Lea in die traditionelle Bärenumarmung schloss. »Na, mein Täubchen, alles klar? Schön, dass ihr da seid!«
»Ja, sehr schön«, mischte sich Leas Mutter ein und schob die beiden vorwärts. »Aber nun ab in die Stube, hier im Flur steht es sich ja wie auf einem Wartegleis.«
»Das ist sehr nett von Ihnen, Anita«, sagte Noel, »aber wir sind nicht hier, um Ihnen den Sonntag zu stehlen.«
»Papperlapapp, wir freuen uns doch! Und ich hab den Tee schon aufgesetzt.«
»Nein, Mama, Noel hat recht, wir wollen, also ich will … Ich hab ihm bei unserem ersten Besuch versprochen, ihm irgendwann mein altes Zimmer zu zeigen und wir dachten uns, heute passt es ganz gut?«
»Ach, nur deswegen seid ihr hier hergekommen?«
Noel und Lea warfen sich einen Blick zu, bis Noel lächelte und sich, leicht den Kopf schüttelnd, wieder zu ihrer Mutter wandte. »Das soll keineswegs heißen, dass wir uns nicht über eine Tasse Tee mit Ihnen freuen.«
Zufrieden grinsend deutete Anita mit dem Daumen hinter sich. »Na, wunderbar! Dann mal hereinspaziert.«
Mit etwas Geschick, wobei Lea im Gegensatz zu Noel eher passiv am Gespräch beteiligt war und wie ein eingeschüchtertes Mäuschen in ihrer Tasse rührte, konnte die Teestunde auf eine Stunde runtergebrochen werden.
Als sie Noel die Treppe des Einfamilienhauses hinauf zu ihrem Zimmer führte, kam sie nicht umhin, sich wie eine Verbrecherin zu fühlen, die ihren Richter zu ihrer Strafe geleitete. Obwohl Noel das Kaffeekränzchen erneut mit Bravour gemeistert hatte – unnötig zu erwähnen, dass ihre Eltern ganz begeistert von seiner neuen Arbeit waren – verfiel er ins Schweigen, sobald sie sie im Wohnzimmer zurückgelassen hatten.
Vor Anspannung bereit, auf die Toilette zu verschwinden, blieb Lea vor ihrem Zimmer stehen und öffnete die dunkle Holztür.
Auf eine seltsame – und wenn sie so darüber nachdachte auch irgendwie gruselige – Art war alles noch genau, wie es vor sechs, sieben Jahren gewesen war. Nur lag mehr Staub auf den Schränken und Büchern. Auch wenn ihre Mutter schwor, alle zwei Wochen zu putzen, kannte Lea sie zu gut und sah sich bei diesem Anblick bestätigt.
Sie bedeutete Noel, voraus zu gehen, worauf er bedächtigen – und für Lea viel zu dramatischen – Schrittes eintrat. Ihr Zimmer war klein und eher schlauchförmig geschnitten. Zu ihrer Linken, direkt neben der Tür, stand längs das Bett, am Fußende das Bücherregal. Zu ihrer Rechten, hinter der Tür,war der große klotzige Kleiderschrank, daneben ein kleiner Tisch mit einem noch kleineren Fernseher. An der Stirnseite befanden sich das Fenster und der Schreibtisch, der darunter positioniert war.
Da standen sie also, umzingelt von all ihren Erinnerungen. Eigentlich war das keine große Sache, bloß dass Lea nicht so scharf darauf war, sich für ihre Hobbies und Interessen als Kind zu rechtfertigen. Ja gut, dann hingen da eben Poster einer furchtbar peinlichen Girl-Band oder Schauspieler, die auf den Bildern jünger waren als sie jetzt. Die komplette rechte Seite war mit Postern und Artikeln aus Zeitschriften übersät. Auch wenn sie wenige bis keine Freundinnen gehabt hatte, mit denen sie die pickeligen Musiker zusammen anschmachten konnte, hatte sie sie trotzdem angehimmelt und Herzchen um die Köpfe gemalt. Wenn sie die Bilder heute sah, wusste sie zum Teil nicht mal mehr die Namen der Leute.
Über dem Bett hingegen hingen Zettel mit abgeschriebenen Zitaten aus Büchern. Lea wusste noch, wie sie diese Stelle eigentlich immer mit Fotos von Freunden hatte schmücken wollen, bis sie ihre fiktiven den realen vorgezogen hatte.
Mit einem Seufzen ließ sie sich aufs Bett fallen und starrte auf die Zettel.
»Hast du das alles selbst geschrieben?«
»Nein.« Lea schüttelte den Kopf. »Nur kopiert.«
»Weise Worte.«
»Ja … ich weiß nicht, ob ich jemals so viel von Fotos hätte lernen können wie aus meinen Büchern.« Sie dachte an Sally und Maria und wusste, dass das so nicht ganz stimmte. Aber damals hatten sie ihren Verstand gerettet und das war die Wahrheit.
Sie sah zu Noel auf, der sie ein wenig verwirrt musterte, sich
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