Dezembergeheimnis
könnte meine Chance sein.«
»Ich weiß, ich weiß … Ich hätte mir nur gewünscht, du hättest es mir früher gesagt.«
»Es tut mir leid! Wirklich! Ich hätte es auch lieber anders gehabt, aber ich kann es jetzt auch nicht mehr rückgängig machen!«
»Ich weiß.« Noel legte seine Hand über ihre und drückte sie sachte. Seine Stimme war warm und verständnisvoll. Lea kam sich vor wie ein Kind und hätte am liebsten bockig die Hand weggezogen. Gleichzeitig war ihr aber klar, dass sie sich wirklich nicht sonderlich erwachsen benommen hatte und sie sich deshalb nicht beschweren durfte.
»Meine Mutter sagt immer, man soll nicht im Streit auseinander gehen«, sagte sie leise.
»Aber wir streiten doch nicht«, erwiderte Noel ebenso sanft. »Wir sind nur beide traurig.«
Lea schloss die Augen, sie wollte den Gedanken verdrängen, dass sie ihn traurig machte. Sie spreizte die Finger der Hand, die Noel mit seiner bedeckt hielt, sodass sie sie ineinander verschränken konnten. Schweigend starrten sie auf all die Fotokollagen und Starposter, die von der Nachmittagssonne in ein goldenes Licht getaucht wurden. Wenige Minuten später rückte sie an Noel heran, bis sie den Kopf auf seine Schulter legen konnte.
Ihr brannten noch so viele andere Fragen auf der Zunge. Warum war er so böse, dass sie ihn geküsst hatte? Eine Woche war doch nicht zu lang, oder? Sie waren doch immer noch für einander bestimmt? Aber sie schwieg.
Ihnen blieb nicht mehr viel Zeit.
Kapitel 20
Der kommende Morgen verlief wie der vergangene Abend: größtenteils wortlos. Die Stimmung zwischen ihnen war nicht wirklich angespannt oder beleidigt, sondern wie Noel es auf den Punkt gebracht hatte: traurig. Leas Abreise zerrte wie zwanzig Kilogramm Kartoffelsäcke an ihnen und während Lea Noel immer wieder den Ich-bin-bald-wieder-da-Blick schenkte, wiederholten seine Augen nur Ich-wünschte-du-würdest-gar-nicht-fahren, was die ganze Sache nicht unbedingt einfacher machte.
Wenn sie vorher gewusst hätte, dass er sich dermaßen gegen diese Reise wehren würde, hätte sie ihn – komme, was wolle – um seine Meinung gefragt und wenn sie es mit Lippenstift auf den Kühlschrank geschrieben hätte. Und wer wusste es … vielleicht wäre sie sogar gar nicht gefahren.
Andererseits aber wollte sie fahren. Und er hatte sich ja auch einfach einen Job gesucht, ohne sie über ihre Meinung zu konsultieren.
Lea saß auf dem Badewannenrand, ließ den Kopf auf die Knie sinken und verschränkte die Hände im Nacken. Nein, Auge um Auge brachte sie hier nicht weiter. Sie wollte nicht
so
weggehen. Das hatte eine tolle neue Erfahrung werden sollen! Aber wie sollte es das sein, wenn Noel nicht so darüber dachte? Sie strich sich durch die langen Haare und sah auf. Und seufzte.
Im Endeffekt machte es nun aber keinen Unterschied mehr, was Noel wollte. Diese Entscheidung hatte sie für sich getroffen und egal, wie sehr ihr die Knie schlotterten und sie eigentlich seine Unterstützung und gute Zurede gebrauchen könnte, würde sie die Reise durchziehen und versuchen, das Beste draus zu machen. Und in einer Woche wäre sie wieder hier und könnte mit Noel da anknüpfen, wo sie aufgehört hatten.
Den Spiegel wohl ignorierend – ihr blasses Gesicht konnte sie nicht wirklich gebrauchen – trat sie aus dem Badezimmer. Nicht, dass sie von sich behaupten könnte, ihr Schritt wäre sicher und sie fest entschlossen dazu bereit, Noels Widerstand wie Beton an sich abprallen zu lassen, aber immerhin kam sie bis zum Flur.
»Bist du fertig? Wollen wir los?« Noel stand neben ihrem kleinen Koffer und lächelte. Wenigstens ein bisschen. Er sah so gut aus, verdammt noch mal. Er trug eins der karierten Hemden, das sie ihm neulich mitgebracht hatte und von dem der oberste Knopf offen stand. Seine Haare waren wie jeden Morgen noch völlig ungezähmt – nicht, dass sich das tagsüber wirklich änderte, aber er versuchte es regelmäßig – und seine Augen waren noch ganz klein von zu wenig Schlaf.
Es war nur eine klitzekleine lächerliche Woche und das Jahr hatte noch fast fünfzig weitere davon, aber trotzdem wollte sie sich seinen Anblick ganz genau einprägen, nur für schlechte Zeiten.
»Ja, bin fertig. Lass uns fahren.«
Noel fuhr und auch wenn Lea eigentlich nichts anderes hatte erwarten dürfen, bewies er ungeahntes Talent. Dass sie das blaue Wägelchen in seiner Obhut ließ, war eines der wenigen Gesprächsthemen vom Vortag gewesen. Nicht, dass sie sich damit
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