Dezemberglut
Einer Zukunft, in der ich akzeptieren musste, dass meine Eltern nicht mehr Teil davon waren.
Ich wollte endlich nach Hause.
Als ich Damian von meinen Plänen erzählte, starrte er mich nur an.
„Bist du endlich bereit, dein Gedächtnis löschen zu lassen?“
„Nein. Natürlich nicht.“
„Dann bleibst du hier.“
„Ich könnte doch trotzdem eine Vertraute sein und regelmäßig zum Fitnesst ra i ning kommen“, meinte ich vorsichtig. „Nur, dass ich zu Hause wohne.“
Er betrachtete mich mit so viel Interesse, wie einen überlauten, lästigen Werb e spot in einem Fernsehfilm.
„Julian. Julian hält mich für vertrauenswürdig. Ich bin doch schließlich eine Ve r traute, oder? Und er hat nicht gesagt, dass ich auf Schwanenwerder bleiben muss.“ Das hoffte ich wenigstens. „Außerdem habe ich einen Hund. Ich muss wissen, was aus ihm geworden ist.“ Als ob Damian ein Tierfreund wäre !
„Und wie ist dein Plan? Wie willst du der Polizei erklären, wo du die ganze Zeit gesteckt hast? Du giltst immerhin als vermisst.“
„Amnesie“, half ich weiter. Immerhin hörte Damian mich an, das war mehr, als ich erwartet hatte. „Die hätte ich doch auch, wenn ihr mein Gedächtnis löschen würdet.“
„Wenn du eine gute Schauspielerin bist, könnten wir damit durchkommen. Vie l leicht.“ Er warf mir einen leeren Blick zu. „Aber ich muss erst darüber nachde n ken.“ Er ging und ließ mich einfach stehen.
Zwei Tage bekam ich ihn nicht zu Gesicht, was mich noch mehr verärgerte. Dann stand er nach dem Training plötzlich bei Max. Ich suchte se i nen Blick. Seine Aufmerksamkeit. Irgendwann musste er ja schließlich zu mir hinsehen. Ich biss mir auf die Unterlippe und versuchte, mich in Geduld zu üben.
Aber als Max gegangen war, wartete ich nicht länger. Ich ging zu Damian hin und funkelte ihn an. Dabei bemerkte ich einen Fleck auf seinem Handrücken.
„Ist das ein Altersfleck?“, fragte ich gemein.
Damians Augenbrauen zuckten nach oben. „Das hier?“ Er betrachtete die Ste l le, auf die ich gezeigt hatte, schaute nochmals genauer hin. „Blut.“
„Blut?“, fragte ich erschrocken.
„Eine kleine Zwischenmahlzeit.“
Ich konnte spüren, wie meine Augen immer größer wurden.
Genau wie das ungewohnte Grinsen, das er plötzlich zeigte. Er drehte sich um und ging.
Verflixt, nicht schon wieder. „Damian?“
Es war das erste Mal, dass ich ihn mit seinem Namen anredete, und er drehte sich tatsächlich um.
Ich schluckte alle möglichen und unmöglichen Kommentare hinunter. Das war nicht die Zeit für Spielchen oder zu beweisen, wie mutig ich war. „Hast du da r über nachgedacht? Darf ich nach Hause?“ Mein Tonfall war bittend, fast schon flehentlich.
„Ja. Übermorgen.“
Ich war so überwältigt, dass er längst weitergegangen war, als ich Worte fand.
Am nächsten Abend erklärte mir Damian, was ich zu tun hatte. Er hatte bereits begonnen, meine Rückkehr vorzubereiten. Alles, was er sagte und was ich tun sollte, kam mir so stimmig vor, dass ich gar nicht auf die Idee kam, ihm zu wide r sprechen. Ich wusste, er wollte mich so schnell wie möglich loswerden. Und damit war ich absolut einverstanden, auch wenn er die Einzelheiten so oft mit mir durchging, dass es nervte.
Morgen sollte es losgehen. Zwar müsste ich weiter am Fitnesstraining teilne h men, aber ich durfte immerhin zu Hause übernachten.
Ich war voller Vorfreude und gleichzeitig voller Angst.
Meine Zeit auf Schwanenwerder ging endgültig zu Ende, und ich verabschiedete mich von Georg, dem ich für seine Fürsorge sehr dankbar war.
„Georg? Darf ich Sie etwas fragen? Etwas sehr Persönliches?“
Er lächelte ernst. „Ihr wundert Euch sicher, wie und warum ich zum Vampir geworden bin.“
Ich spürte, wie mir das Blut ins Gesicht schoss und nickte.
„Julian hat mich gewandelt.“
„Weil er Sie als Diener behalten wollte?“
„Nein. Ich war zwar ein Vertrauter, aber das hätte er nie getan. Obwohl ich meine Position sicher gut ausgefüllt habe.“ Der Blick, mit dem er mich ansah, war vorwurfsvoll. „Julian hat mich auf meinen Wunsch hin gewandelt. Meine Frau, meine Tochter und mein Schwiegersohn wurden vor mehr als einhundert Jahren bei einem Droschkenunfall getötet. Nur meine Enkelin hatte schwer verletzt übe r lebt. Ich wollte sie pflegen, aber dafür benötigte ich mehr Kraft und Zeit, als me i nem Körper noch zur Verfügung stand. N ach der Wandlung konnte ich sie noch mehr als zwanzig Jahre umsorgen, bis
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