Dezemberglut
auf sie sein? Anstatt auf dich selbst?“
Ich erschrak. Spürte Angst. Schwäche. Scham, wenn ich daran dachte, wie hilflos ich gewesen war, wie und wo Gregor und Martin mich angefasst hatten. Aber Wut? Da war keine. „Die würde ja sowieso nichts nützen“, sagte ich leise.
„Deshalb richtest du deine Wut lieber gegen dich selbst? Weil es so viel nützl i cher ist, dich selbst zu quälen?“
„Nein“, sagte ich sofort. „Das tue ich nicht.“ Ich überlegte, was ich fühlte, und k am zu keinem Ergebnis. Hatte er etwa recht? War ich wütend? Auf mich selbst?
„Du musst sogar sehr wütend auf dich sein. Sonst würdest du dich nicht so tief verletzen. Mit einem Messer. Bis aufs Blut.“
Ich schnaubte und versuchte so viel Verachtung in meinen Blick zu legen wie er.
„Was würden deine Eltern dazu sagen? So ehrst du ihr Andenken?“
Ich zuckte zusammen. Wie gemein! Das waren genau die Worte, durch die ich mich noch schlechter fühlte. „Ich dachte, du wolltest mir helfen?“
„Das tue ich.“ Plötzlich packte er grob mein Handgelenk und entfernte den Verband. Ich zuckte erschreckt, aber diesmal hielt er mich fest und hob ganz lan g sam meinen Arm an seinen Mund.
Ich hielt den Atem an, war unfähig, mich zu widersetzten, geriet in Panik, e r starrte und hasste mich dafür. Er berührte meine Verletzung , mit seinen Lippen, seiner Zunge. Ein Schauder durchlief mich, mein Herzschlag beschleunigte sich und i ch wusste nicht, wie ich dieses seltsame Gefühl einordnen sollte. Plötzlich war es sehr heiß im Wagen.
Da war ein Funke in seinen Augen, der sofort wieder erlosch, aber er hielt mich mit seinem Blick, bis er meinen Arm losließ. „Das tue ich“, wiederholte er. „Ich helfe dir. Du wirst nämlich mit diesem Unsinn aufhören. Sofort. Wenn du Pro b leme hast, dann löse sie. Oder lass dir dabei helfen. Sprich darüber. Mit mir. Oder mit Ellen, Julians Gefährtin. Julian hat dir doch gesagt, dass du sie anrufen sollst. Aber hör auf, dich selbst zu verletzen.
Egal, ob dich meine Worte überzeugen oder nicht – ich werde diese n Blödsinn nicht länger dulden. Ich werde wissen, wenn du es wieder getan hast, und glaub mir, ich werde ebenfalls wissen, wenn du mich belügst.“
Damian ließ mich los, griff über mich hinweg und öffnete die Beifahrertür. Schon während ich hastig ausstieg, sprang der Motor an. Er fuhr mit quietsche n den Reifen an , wendete und raste davon.
Ich schaute dem Wagen verdattert hinterher. Ich hatte geglaubt, ihm völlig egal zu sein. Nun hatte ich es geschafft, dass er mir drohte und ernsthaft sauer war.
Immerhin.
Was hatte ich denn erwartet? Verständnis? Die Idee, von einem Vampir wie Damian Verständnis zu erwarten, war ebenso absurd wie ihm ein Stück Erdbee r kuchen anzubieten, nur weil es so schön rot war.
Ich ging ins Haus, begrüßte Püppi, die aufgeregt um mich herumtanzte und gab ihr Futter, dann ging ich ins Bad und drehte mein zitterndes Handgelenk, sodass ich meinen Unterarm im Licht der hellsten und unbarmherzigsten Lampe betrac h ten konnte, die ich immer zum Schminken einschaltete. Die Narbe des ersten Schnitts war noch da. Der zweite, tiefere Schnitt war nicht zu sehen. Einfach weg, verschwunden. Wie war das möglich?
Damian hatte ihn zum Verschwinden gebracht. Geheilt. Was hatte er gesagt? Du weißt nicht das Geringste von uns. Er hatte recht.
Ich ging sofort ins Bett. Mir ging so viel im Kopf herum, dass ich gar nicht auf die Idee kam, mich erneut zu schneiden.
***
Damian nahm die Auffahrt zur Stadtautobahn. Er beschleunigte, hörte das kraf t volle Dröhnen des Motors und fühlte sich erleichtert über jeden Meter, der ihn weiter wegbrachte von ihr.
Er war … beunruhigt. Tief beunruhigt. Und er war wütend. Wütend auf Julian, der ihm das eingebrockt hatte, wütend auf sich selbst – warum hatte er sie nicht einfach aussteigen lassen? – und vor allem war er wütend auf SIE.
Wie ein erschöpfter Mensch so viel reden konnte, war ihm unbegreiflich. Nun, s ie war zwar jung, aber auch eine Frau, und das war Erklärung genug. Sie war wie ein Unfall in sein Leben getreten. Ein schneller, heftiger und gefährlicher Zusa m menstoß. Nein. Erbittert änderte er seine Meinung, denn einen Unfall konnte man analysieren und den Schaden vollständig beseitigen. Sie war eher wie ein seltsamer Virus über ihn hergefallen – nicht gefährlich, aber unglaublich lästig, und sie hielt ihn ständig auf Trab, ohne zu verschwinden. Doch das
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