Dezemberglut
Ärgste an ihr war, dass er sie verstand. Obwohl sie eigentlich noch ein Kind war.
Schuld.
Das war es, was sie stets mit sich herumtrug und ihn so beunruhigt und wütend gemacht hatte. Denn Schuldgefühle waren ihm selbst nur allzu vertraut, und diese Gemeinsamkeit, ausgerechnet mit ihr, traf ihn völlig unerwartet.
Während sie erzählte, war er gar nicht auf den Gedanken gekommen, sich abz u schirmen und hatte sich seltsam offen gefühlt, so als hätte er sich selbst in ihrer Verzweiflung und in ihrem Kummer gespiegelt und gemeinsam mit ihr einen Blick in seine eigene Seele geworfen.
Seine Erinnerungen waren plötzlich da gewesen, hatten ihre Worte begleitet, und es war ihm immer noch nicht möglich, sie wieder loszuwerden. Es waren Erinnerungen an Gespräche, die er vor Jahren mit Julian geführt hatte, ähnlich, aber mit vertauschten Rollen. Er überlegte. Kramte in seinem Gedächtnis nach allem, was er sich von Julian angehört hatte. Nicht, dass dessen Worte damals irgendeinen Einfluss auf ihn gehabt hätten. Selbst wenn sie ihn interessiert hätten, hätte er sie nie mit Bedeutung füllen können. Nichts von dem, was Julian sagte, hatte ihn damals erreicht und seine Meinung erschüttern können. Im Gegenteil, er hatte versucht, jedem Gespräch mit Julian aus dem Weg zu gehen.
Schuld.
Da war er ein denkbar schlechter Berater. Der schlechteste Berater, den die Kleine hatte finden können. Denn seine eigene Schuld jagte ihn, sie verfolgte ihn bis in seine Träume und würde es bis in alle Ewigkeit tun. Der Tod von Sebastian und anderer Gefährten in der Nacht des großen Durchbruchs, die alle wegen ihm den Tod fanden. DAS war wirkliche, furchtbare Schuld.
Bei ihr war es jedoch völlig anders. Sie war nur zur falschen Zeit am falschen Platz gewesen, ein unglückliches Opfer von Gregor, das am Tod ihrer Eltern überhaupt keine Schuld trug , auch wenn sie das weder erkennen noch akzeptiere n wollte. Sie hatte Grausamkeiten erlebt und überlebt, die sich andere Menschen in ihrem Alter nicht in ihren schlimmsten Träumen vorstellen konnten.
Plötzlich, als er über sie nachdachte, fiel Damian auf, dass er über ihre Verga n genheit überhaupt nichts gewusst hatte. Er war gar nicht auf die Idee gekommen, dass ein junger Mensch überhaupt so etwas wie eine Vergangenheit haben könnte. Sie hatte ihn auch nicht interessiert. Aber natürlich hatte sie Eltern gehabt, die ihr etwas bedeuteten. Die nun tot waren.
Und nun zog sie ihn hinein in Probleme, die nicht die seinen waren. Als hätte er nicht genug mit seinen eigenen zu tun. Was konnte er also tun? Sie wurde ja fast schon panisch, wenn er ihr nahe kam. Immerhin versuchte sie inzwischen, dag e gen anzukämpfen. Trotzdem ärgerte ihn diese Angst. Als wären alle Vampire gleich. Das absolute und ultimative Böse.
Er könnte höchstens verhindern, dass sie so weitermachte. Verhindern, dass sie aufgab. V ersuchen, ihren Körper zu heilen, ihre Fitness zu verbessern, sodass sie genug Kraft hatte, sich ihren Problemen zu stellen. Sie beschäftigen, sodass sie gar keine Zeit mehr für diese Dummheiten hatte.
Sich selbst zu verletzen. Was für eine Verrücktheit.
Allerdings gab es noch andere Methoden, sich selbst zu verletzen, außer der, mit Stahl die Haut zu durchdringen und Muskeln zu durchtrennen.
Nicht das Fleisch, sondern die Seele. Er kannte sie alle.
Es war nicht nur sein Arm, der nicht mehr heilte.
Was seinen eigenen Schmerz betraf, gab es nur eines, was ihm half. Rache. Doch die Jagd auf Dämonen linderte nur, sie heilte seine Wunden nicht.
Aber darüber wollte er jetzt nicht nachdenken. Das Einzige, was er wirklich wollte, war , diese Kleine so schnell wie möglich loszuwerden. Er zählte schon die Wochen bis zu Julians Rückkehr.
Damian überlegte und änderte seine Pläne. Es war zwar noch früh, aber heute wollte er niemanden mehr hören oder sehen. Er würde den Rest der Nacht in seiner Wohnung verbringen. Er nahm den Abzweig Richtung Norden und genoss es, das Gaspedal durchzutreten.
Kapitel 10
Damian saß vor seinem Computer und starrte in die Helligkeit des Bildschirms. Es war noch viel Zeit bis zur Abenddämmerung, aber heute beunruhigte ihn jeder Gedanke an Schlaf. Denn die Träume, die sich so wie jetzt durch unruhige A h nungen ankündigten, verstörten ihn immer mehr.
V erdammt, er würde sich doch von keinem Dämon vorschreiben lassen, wie er seine Zeit verbrachte! Er schaltete den Computer a us und legte sich hin.
Auch heute
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