Dezemberglut
sie drang mir unter meinen dicken Pullover und ließ mich frösteln.
„Ist er wirklich sicher?“, fragte ich zögernd.
„Natürlich. Absolut.“
Ich konzentrierte mich auf die Gestalt, die bewegungslos im Halbdunkel neben ihrem Bett auf dem Boden saß und mich keines Blickes würdigte.
Martin sah ganz anders aus, als ich ihn in Erinnerung hatte. Nicht so groß und bei Weitem nicht so machtvoll. Im Gegenteil, er wirkte klein, schmuddelig und überhaupt nicht gefährlich. Aber ich wusste, wie er wäre, wenn uns keine Gitte r stäbe trennten.
Nun hob Martin den Kopf und sah mich an. Seine Augen schienen plötzlich zu glühen.
Die Erinnerung traf mich wie ein Schlag ins Gesicht. Und mit ihr kam die Angst. Ich glaubte, ihn an mir zu spüren, zu riechen. Mein Magen verkrampfte sich, mein Atem beschleunigte sich, und kalter Schweiß sammelte sich in meinen Handflächen.
Es war, als hätte Martin nur auf meine Reaktion gewartet. Ich hatte nicht ges e hen, dass er sich überhaupt bewegte und schrak zurück, denn plötzlich stand er direkt vor mir, an den Gitterstäben. Hastig trat ich einen Schritt zurück.
Kein Zweifel, Martin hatte mich wiedererkannt, und die Aussicht, mich erneut quälen zu können, erfreute ihn sogar jetzt. Er suchte meinen Blick.
Ich tastete nach Damians Hand, ohne Martin aus den Augen zu lassen. Ich spürte Damians Überraschung, seine Kraft und sein Mitgefühl, und ich wusste, es würde mir nichts geschehen, solange er hier bei mir war. Ich drückte seine Hand fester und schaffte es, stehen zu bleiben. Ich sah Martin in die Augen und ve r suchte, seinem Blick standzuhalten.
Sofort fielen die Erinnerungen über mich her.
Obwohl Damian nicht fester zufasste, fühlte ich mich von ihm gehalten, und nicht nur von seiner Hand. Sein Zorn half mir gegen meine Angst. Mir gelang es, mich diesem Zorn anzuschließen und Martins Blick auszuhalten, ihn aus meinem Verstand hinauszudrängen und meinen Blick von ihm abzuwenden.
Sobald ich das geschafft hatte, war es Damian, der Martins Blick suchte und au f fing. Da er meine Hand nicht losgelassen hatte, spürte ich seine Macht, die mich erfasste und mitriss. Damians Macht erfüllte mich wie ein Rausch, und für einen Moment verspürte ich den Impuls, Martin auszulachen, ihn zu bestrafen und zu quälen. Damian war so stark – ich wusste, dass er es konnte. Und wollte. Aber er tat es nicht.
Ich wandte mich Damian zu, seinem Profil. Er zeigte keine Emotion, sein G e sicht war so leer, wie ich es schon lange nicht mehr gesehen hatte. Nichts wies auf das hin, was in ihm vorging, auf seinen unerbittlichen Zorn, auf den Machtkampf, der stattgefunden und den Damian gewonnen hatte. Sein Blick ließ Martin los. Martin taumelte und wankte in eine Ecke.
Ich hatte mir nie über Damians Kräfte oder deren Grenzen Gedanken gemacht. Ich räusperte mich. „Du bist viel stärker als er“, stellte ich fest.
„Selbstverständlich“, meinte er verwundert. Er ließ mich los, legte seine Hand auf meine Schulter und führte mich hinaus. Wir gingen Seite an Seite die Treppe nach oben, und langsam beruhigte ich mich.
„Du hast dich gut geschlagen.“
Ich nickte und wusste: Damian hatte recht.
Martin würde meinen Träumen künftig fern bleiben.
„Danke, Damian. Für alles, was du mir beigebracht hast. Du hast mir sehr g e holfen.“ Ich fragte mich, ob er meinen Dank auch diesmal zurückweisen würde.
„Hast du keine Angst mehr vor Vampiren?“, fragte er nur.
Ich lächelte ihn vorsichtig an. „Nicht mehr vor allen.“
Kapitel 15
Ich saß am Frühstückstisch und trank meinen Kaffee. Das Radio lief, und mein Lieblingssender spielte „ Rolling in the deep “ von Adele . Irgendetwas war heute anders. Es dauerte, bis ich verstand, was den Unterschied ausmachte: Mein Fuß wippt e im Takt der Musik, und ich fühlte mich wohl. Ich hatte keine Angst davor, allein zu sein. Keine Angst vor der Zukunft. Es ging mir gut, und zum ersten Mal seit Wochen fühlte ich wieder Vertrauen in mich und mein Leben.
Ich stand auf, räumte das Geschirr ab, griff nach meiner Jacke und ging hinaus auf die kleine Terrasse. Von dort aus betrachtete ich den Garten mit dem kahlen Apfelbaum. Die braunen Beete waren mit Frost überzogen. Ich entschied, die kleine Tanne, die uns im letzten Jahr eingetopft als Weihnachtsbaum gedient ha t te, mit einer Lichterkette zu schmücken, der Karton stand im Keller. Außerdem würde ich mir bei der Gärtnerei um die Ecke einen Weihnachtsbaum
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