Dezemberglut
wirst du schon noch herausfinden.“ Martin lächelte unangenehm.
Christian zuckte die Achseln und wandte sich ab. Bitte. Dann eben nicht. Auf dumme Antworten konnte er gern verzichten.
„Die Sonne geht bald auf.“
„Brauchst du Blut?“, fragte Christian versöhnlich und trat auf Martin zu. Er war bereit und willig. Wenn Martin ihm gewogen war, umso besser. Christian ging stets pragmatisch vor, wenn er entschlossen war, ein Ziel zu erreichen, setzte auch seinen Körper und dessen Schönheit ein.
„Nicht unbedingt. Die Gemeinschaft sorgt gut für ihre Gefangenen.“ Martins Tonfall machte deutlich, was er davon hielt. „Und wir werden sowieso mit deiner Wandlung beginnen.“
„Gut.“ Christian lächelte.
„Bist du bereit?“
„Natürlich.“
Martins Gesicht war glatt und ausdruckslos, aber seine braunen Augen glänzten wie Bernstein.
Kapitel 19
Heute war Heiligabend.
Am Vormittag hatte mich Ellen zum Frühstück eingeladen. Wir besuchten ein Café in der Oranienburger Straße, und Steffen von der Nacht-Patrouille saß die ganze Zeit am Nebentisch und tat so, als würde er Zeitung lesen. Wobei – die Zeitung, die er sich ausgesucht hatte, bestand aus vielen Fotos und großen Übe r schriften, vielleicht beschäftigte er sich tatsächlich damit.
Ich hatte mich sehr über Ellens Einladung gefreut, denn ich wusste, dass sie, von ihrer Arbeit abgesehen, das Aeternitas selten verließ. Der von Andrej veror d nete Begleitschutz war ihr alles andere als angenehm.
Auch heute Nachmittag würde sie in der Klinik arbeiten, das machte sie wohl immer so zu Weihnachten. Sie hatte keine Familie mehr und wohl auch sonst niemanden, mit dem sie die Feiertage verbrachte – auch Julian bedeutete ja wegen seines Arkanums einen Totalausfall.
Nachdem mich Steffen wieder nach Hause gefahren hatte, lag ich im Woh n zimmer auf meinem roten Sofa. Bis zum frühen Abend hatte ich alle Filme ges e hen, die ich mit Weihnachten und meinen Eltern verband: Drei Haselnüsse für Aschenbrödel , Der kleine Lord und White Christmas , eine n alten Spielfilm von 1951, bei dem meine Mutter immer neue Ähnlichkeiten zwischen George Clooney und seiner Tante Rosemary, die in diesem Film mitspielte, suchte. Ich hatte immer nur die Augen verdreht. George Clooney war doch schon so alt!
Aber ich liebte den Film ebenfalls. Zumindest die erste Hälfte, in der so viel g e tanzt und gesungen wurde und die Kulissen so bunt waren wie Bonbonpapier.
Mein Anrufbeantworter blinkte, und es gab jede Menge E-Mails. Weihnachten ist die Zeit, in der auch Studenten wieder nach Hause finden. Allein für die Wei h nachtswoche erhielt ich Einladungen zu drei Partys. Aber ich meldete mich bei niemandem. Vielleicht würde ich die Kontakte irgendwann wieder aufnehmen, aber ich konnte nicht einfach dort weitermachen, wo ich a ufhören musste. I ch wollte es auch nicht.
Ich schimpfte freundlich mit Püppi und legte ihr vorsichtig die empfindlichen Ohren über die schmalen Schultern. Sie schnaufte in das rote Sofakissen, ohne sich die Mühe zu machen, den Kopf zu heben. Vor etwa einer Stunde hatte sie sich schüchtern in die schmale Spalte zwischen mir und dem Sofarücken gesch o ben. Inzwischen hatte sie sich so ausgebreitet , dass ich auf der Liegefläche kaum noch Platz hatte. Wie machte sie das bloß?
Als es klingelte, schälte ich mich verwundert aus meiner Decke. Püppi gab mit einem Satz ihren hartnäckig eroberten Platz auf, raste zur Tür und winselte.
Das konnte nur eines bedeuten.
Ich sprang auf, öffnete die Haustür und strahlte ihn an.
Sein schwarzes Haar glänzte fast golden im Licht der Eingangslampe. Er war so groß, so schön, so viel Mann. Mit diesem halben Lächeln im Gesicht, das aussah, als würde er sich schon wieder selbst verspotten.
„Frohe Weihnachten, Kleines. Die Präsentkörbe sind mir leider schon ausg e gangen. Aber du warst nicht im Club und ich wollte sehen, wie es dir geht.“
„Oh“, meinte ich glücklich. „Ich habe an dich gedacht, und schon bist du da.“
Er starrte mir ins Gesicht und bedachte mich mit einem Blick, den ich nicht deuten konnte. Dann musterte er mich vom Kopf bis zu meinen lackierten Zehen, die leider in dicken Weihnachtssocken aus Frottee steckten. „Du bist allein“, stel l te er fest.
„Nicht ganz.“ Ich öffnete die Tür ganz weit und machte ihm Platz. „In Gesel l schaft einer alten Witwe.“
„Veuve Clicquot“, übersetzte er prompt. Gab es überhaupt einen Vampir, der sich
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