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Dezembersturm

Titel: Dezembersturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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Glauben bestärkt, als ein ebenso hilf-wie nutzloses Wesen angesehen zu werden.
    »Ich glaube, Prudence und ich sollten jetzt packen. Ich will Sir Thomas’ Kutscher nicht warten lassen.« Mary winkte ihrer Schwester zu, mitzukommen, und verließ den Raum.
    »Ich habe zu arbeiten«, sagte Konrad knurrig und rieb sich dabei über die Augen, in denen es feucht schimmerte. Mit einem tiefen Schnaufen ging auch er und schloss die Tür hinter sich zu.
    Lore und Nati blieben allein zurück. Sofort klammerte die Kleine sich weinend an Lore. »Warum will Mary weg? Ich habe gedacht, sie hätte uns lieb.«
    »Das hat sie auch. Aber sie hat auch Heimweh nach ihren Eltern, ihren Schwestern und Brüdern. Das musst du verstehen.«
    Nati schüttelte den Kopf, dass ihre Haare nur so flogen. »Das verstehe ich nicht. Ich habe nämlich keine Eltern mehr, und Schwestern und Brüder habe ich nie gehabt.«
    Da Lore das Temperament ihres Schützlings kannte, verschwieg sie Nati, wer der eigentliche Grund für Marys Entscheidung gewesen war. Auch wenn die Kleine Konrad mochte, bestand sonst die Gefahr, dass sie ihre Enttäuschung an ihm auslassen würde. Mit viel Mühe beruhigte sie das Kind und erklärte ihm, dass sie sich ja sowieso bald von Mary und Prudence hätten trennen müssen, da sie selbst in wenigen Tagen auf ein Schiff steigen und zum Kontinent hinüberfahren würden.

V.
     
    Als Mary zurückkehrte, war sie dick eingepackt. Ihr bleiches Gesicht und die Tränen, die ihr über die Wangen liefen, verrieten Lore, wie verzweifelt ihre Freundin war, und sie wünschte sich, ihr helfen zu können. Aber die Macht hatte sie nicht. Daher blieb ihr nur, Mary fest in die Arme zu schließen.
    »Es ist so schade, dass du gehst«, sagte sie mit schwankender Stimme.
    »Es ist besser so«, flüsterte Mary. Dann versuchte sie, trotz ihrer Tränen zu lachen. »Vergiss mich nicht, Laurie. Wenn es dir bei deiner kleinen Countess nicht mehr gefällt, dann kommst du zu mir. Gemeinsam eröffnen wir in Harwich einen Modesalon und werden damit so viel verdienen, dass wir innerhalb weniger Jahre nach London umsiedeln können. Na, was hältst du davon?«
    »Davon hält Lore gar nichts«, giftete Nati. »Sie bleibt bei mir, bis ich groß bin! Das hat sie mir versprochen.«
    Thomas Simmern, der eben den Raum betrat, hatte Natis Ausbruch gehört. »Greifst du da nicht ein wenig weit in die Zukunft vor, meine Liebe? Lore hat bis jetzt nur versprochen, uns nach Bremen zu begleiten. Wenn du aber weiterhin so ungezogen bist, wird sie wohl kaum Lust haben, länger bei uns zu bleiben!«
    Seine sonst so sanfte Stimme klang scharf. Der Aufenthalt in London mit den bisherigen Problemen und jene, die er vor seiner Heimreise noch lösen musste, zerrten an seinen Nerven.
    Nati sah ihn erschrocken an. »Ich will nie mehr ungezogen sein! Ich möchte doch nur, dass Lore bei mir bleibt.« Nun flossen auch bei ihr die Tränen, so dass Lore sie an sich zog und streichelte.
    »Komm, mein Schätzchen! Onkel Thomas hat das nicht so gemeint. Du bist doch brav.«
    »Gelegentlich«, warf Thomas Simmern ein und reichte Mary und Prudence zwei Umschläge. »Hier ist euer Geld. Passt gut darauf auf! Und hier habe ich die Zeugnisse. Ich wünsche euch viel Glück und eine gute Heimreise.«
    Die Penn-Schwestern knicksten. »Danke schön, Sir. Wir werden Sie und die anderen hier niemals vergessen«, sagte Mary mit brechender Stimme. Dann drehte sie sich zu Nati um und streckte ihr die Hand entgegen. »Mach’s gut, kleine Lady!«
    Zuerst sah es aus, als wolle Nati sich nicht von ihr verabschieden, doch der Gedanke, dass sie damit Lore traurig machen würde, brachte sie dazu, Marys Hand zu ergreifen.
    »Auf Wiedersehen!«
    Dasselbe sagte sie auch zu Prudence, während Mary zu Lore weiterging und diese zum Abschied noch einmal in die Arme schloss.
    »Oh, Laurie!«, brachte sie noch hervor, dann zerfloss sie ein weiteres Mal in Tränen.
    »Viel Glück, Mary, und auf Wiedersehen. Ich schreibe dir, sobald wir in Bremen sind. Wir bleiben in Kontakt, nicht wahr?« Lore atmete auf, als Mary nickte.
    Vielleicht, so sagte sie sich, nahm vielleicht doch noch alles ein gutes Ende. Es gab gute Ärzte in Deutschland, die Mary bestimmt helfen konnten. Am Geld sollte es jedenfalls nicht scheitern. Ihr Großvater hatte laut Onkel Thomas ein hübsches Sümmchen auf amerikanische Banken überwiesen. Darauf war er in Lores Papieren gestoßen. Es war genug Geld, um einen Modesalon in einer großen Stadt und in

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