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Dezembersturm

Titel: Dezembersturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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dass Ruppert sich im Hafengelände von Dover herumtreiben würde, und forderte den Kontorvorsteherauf, das Schreiben umgehend zum nächsten Polizeiposten bringen zu lassen. Dann kehrte er zu den anderen zurück und verließ mit ihnen zusammen die Halle, um sich auf das Schiff zu begeben.

IX.
     
    Während Lore mit Nati an der Hand die Gangway betrat, sah sie ein Stück vor sich Fridolin gehen. Am liebsten wäre sie ihm nachgerannt, um ihm zu sagen, dass Ruppert in der Nähe war. Er selbst würde Natis Vetter aufgrund der Beschreibung, die sie ihm in London gegeben hatte, mit Sicherheit nicht erkennen. Gleichzeitig hatte sie das unangenehme Gefühl, selbst beobachtet zu werden, und das wich auch nicht, als sie unter Deck gingen, um ihre Kabinen zu beziehen.
    Die Räume für die Passagiere waren eng, spärlich ausgestattet und rochen, als wären Säcke mit Dünger darin transportiert worden. Da sich die verrosteten Schrauben der Bullaugen nicht öffnen ließen und die Luft im Gang ganz widerwärtig nach Chemikalien stank, beschloss Onkel Thomas, den größten Teil der Überfahrt an Deck zu verbringen. Der gleichmütige Weates, der in Thomas Simmerns Diensten bleiben wollte, wurde zum Wächter des Gepäcks ernannt. Konrad erklärte sich im Gegenzug bereit, ihm in der Kombüse einen steifen Grog zu besorgen, da sich der Lakai unterwegs eine hartnäckige Erkältung zugezogen hatte.
    »Ich beneide Weates beinahe um seinen Schnupfen«, raunte Lore Nati zu. »So merkt er nichts von dem scheußlichen Gestank. Riecht es auf Frachtschiffen eigentlich immer so schlimm?«
    Die Frage galt Onkel Thomas, der gerade Graf Retzmanns Testamentund die wichtigsten Papiere an sich nahm, um sie während der Zeit an Deck bei sich zu haben. Er schob die Dokumente in die Innentasche seines Jacketts, schloss den Mantel wieder und wandte sich erst dann Lore zu.
    »An Bord von hölzernen SegelSchiffen stinkt es meist noch viel schlimmer, besonders, wenn sie Fisch oder Walrat transportieren. Bei DampfSchiffen ist das meist nicht der Fall. Aber der Kapitän dieses Kahns hier hat wahrscheinlich in den unbesetzten Kabinen Pharmazeutika und Chemikalien verstaut. Jetzt ist mir auch klar, warum der Schiffsmakler so unverschämt gegrinst hat, als ich darauf beharrte, mit diesem TrampSchiff übersetzen zu wollen. Aber die andere Passage, die er mir anzubieten hatte, war auf einer französischen Zweimastbark – und das wollte ich denn doch nicht wagen. Seit die Zahl der DampfSchiffe zunimmt, ist der Kanal für SegelSchiffe ein gefährliches Pflaster geworden. Die Dampfer können einem Segler bei schlechter Sicht nicht rechtzeitig ausweichen und haben schon manchen Kahn versenkt. SegelSchiffe sind leider Gottes vom Aussterben bedroht …«
    Es klang, als bedaure Thomas Simmern eine Entwicklung, die Seereisen nicht mehr zu einer Frage des Windes machte, sondern zu einer von dröhnenden Maschinen, die schwarze, übelriechende Qualmwolken ausstießen.
    Als sie an Deck kamen, wunderte Lore sich über Onkel Thomas’ Einschätzung. Im Hafenbecken von Dover wimmelte es nämlich von SegelSchiffen aller Größen, und auf dem Meer herrschte reger Verkehr. Auf zwei, drei Dutzend Segler kam ein Schiff, das einen Schornstein trug, und selbst von denen fuhren einige zusätzlich unter Segeln.
    Da sie so begeistert die Schiffe betrachtete, reichte Thomas ihr sein Taschenfernrohr, mit dem er kurz das Hafengelände abgesucht, aber wie erwartet nicht die geringste Spur von Ruppert gefunden hatte.
    Lore richtete das Fernrohr auf ein paar Segler in der Nähe und schließlich auf eine Rauchfahne am Horizont, die langsam größer wurde. Sie stammte von einem Dampfer, der geradewegs auf den Hafen zuhielt. Sie wollte Onkel Thomas schon darauf aufmerksam machen, doch da forderte Nati das Fernglas für sich. Gleichzeitig erschien die Stewardess und sprach Thomas an.
    »Mr. Simmern? Weates schickt mich, Ihr Lakai. Ihr Kammerdiener ist bis jetzt nicht zurückgekehrt, und er macht sich Sorgen um ihn!«
    »Vielleicht ist Konrad noch in der Kombüse.«
    »Nein!«, entgegnete die Stewardess. »Dort war ich schon. Weates sagte, Ihr Kammerdiener habe dorthin gehen wollen. Aber da ist er nicht aufgetaucht! Soll ich den dritten Offizier bitten, nach ihm suchen zu lassen?«
    Thomas Simmern schüttelte den Kopf. »Jetzt, mitten unterm Auslaufen, wo jeder Offizier und Matrose gebraucht wird? Der Mann würde sich bedanken. Mein Kammerdiener ist lange Jahre Seemann gewesen, der geht auf einem

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