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Dezembersturm

Titel: Dezembersturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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Schiff nicht so schnell verloren. Ich danke Ihnen für Ihre Mühe.«
    Die Stewardess schenkte ihm ein Lächeln und entfernte sich. Gleichzeitig zog Nati Onkel Thomas kräftig an den Rockschößen. »Eben habe ich Konrad noch gesehen. Er war ganz vorne auf dem Deck und ist, glaube ich, hinter einem Matrosen hergeschlichen, der den Niedergang neben der großen Luke hinabgestiegen ist.«
    »Hinter einem Matrosen? Oder einem Steward, einem Mann in weißer Uniform?«, fragte Lore gespannt.
    Nati zuckte mit den Schultern. »Hm, kann sein! Ich habe nur noch einen Kopf mit rötlichen Haaren vorne untertauchen gesehen.«
    Lore schüttelte sich und spürte, wie ihre Hände vor Aufregung feucht wurden. Onkel Thomas versuchte, sie zu beruhigen. »Sieh doch nicht überall Rupperts Schatten! Konrad hatte vielleicht ganzharmlose Gründe, diesem Mann zu folgen. Bringe du jetzt bitte Nati zu Weates in die Kabine. Ich werde nachsehen, was Konrad dort vorne treibt.«
    Widerwillig nickte Lore, nahm Nati auf den Arm und raffte ihre Röcke. Zuerst rannte sie auf den Niedergang zu, als sei der Teufel hinter ihr her. Als sie jedoch unter Deck stieg, wurde sie langsamer und schlich so vorsichtig durch die schmierigen Gänge, als erwarte sie jeden Augenblick, angesprungen zu werden. Angesteckt von ihrer Furcht, krallte Nati sich an ihr fest und presste das Gesicht gegen ihre Schulter.
    Im Gang vor den Kabinen setzte Lore das Kind ab. »Als Ruppert uns gefangen hatte, sagte er doch etwas von Waffen, die er von Dover nach Le Havre schmuggeln wollte. Wahrscheinlich ist er hier an Bord, zusammen mit dem Zeug, das er zu den Königen Afrikas bringen will, und Konrad muss ihn gesehen haben. Weißt du, was? Du gehst jetzt in unsere Kabine, schlüpfst in die Sitzbank und bleibst dort, bis ich dich heraushole oder bis das Schiff wieder angelegt hat. Wenn ich nicht zurückkomme, schleichst du dich in Le Havre von Bord, suchst einen Polizisten und erzählst ihm alles. Hast du mich verstanden?«
    Nati blickte skeptisch drein. »Ich verstehe aber nicht viel Französisch, denn ich habe die Mademoiselle hinausgeekelt, die es mir beibringen sollte. Sie war so dumm!«
    »Es wird schon jemand Deutsch oder Englisch verstehen. Hauptsache, du bist in Sicherheit! Außerdem hast du ja noch Fridolin. Am liebsten würde ich dich zu ihm bringen und ihn bitten, auf dich aufzupassen.« Lore wollte Nati schon nehmen und mit sich ziehen, da fiel ihr ein, dass sie ja gar nicht wusste, in welcher Kabine ihr Verwandter einquartiert worden war. Nach ihm zu suchen, wagte sie nicht, denn sie fürchtete, dabei auf Rupperts Handlanger zu stoßen. Entschlossen blickte sie dem Kind in die Augen. »Machst du das, was ich dir gesagt habe? Ich will Onkel Thomasfolgen und schauen, ob etwas mit Konrad passiert ist. Vielleicht kann ich unterwegs auch den Kapitän alarmieren, damit er uns gegen Ruppert hilft.«
    Nati nickte mit ängstlicher Miene. »Ja, geh nur! Ich verstecke mich in der Bank der Kabine dort drüben, wo es ganz schlecht riecht. Schau, die Tür schließt nicht richtig. Da drinnen sucht Ruppert mich bestimmt nicht.«
    Lore bückte sich, gab ihr einen Kuss und wischte sich die Tränen mit dem Ärmel ab. »Ich wünschte, ich wäre so tapfer wie du!«, sagte sie und half Nati, in den Kasten der Sitzbank zu klettern. Dann eilte sie, so schnell es ihre Röcke erlaubten, wieder an Deck. Doch dort war weder von Konrad noch von Onkel Thomas etwas zu sehen.
    Stattdessen rannten zwei Offiziere mit Fernrohren und ein paar aufgeregt schreiende Matrosen umher. Ihr Interesse galt dem großen PassagierSchiff, das Lore vorhin am Horizont gesehen hatte und das immer näher kam. Der Bug zeigte genau auf den der
Strathclyde
. Lore hörte die Kommandos, die der Kapitän hinter ihr im Ruderhaus hinausbrüllte, und spürte, wie der Frachter sich leicht zur Seite legte und nach links schwenkte, nach Backbord, wie Konrad zu sagen pflegte. Dann schrillte die Dampfpfeife am Schornstein und übertönte die lautstarken, aber unverständlichen Kommentare der Seeleute. Gleichzeitig zogen zwei Matrosen am vorderen Mast mit hektischen Griffen verschiedene Fahnen hoch.

X.
     
    Lore warf einen kurzen Blick auf das ankommende Schiff, dessen Dampfpfeife ebenfalls ohrenbetäubend aufheulte. Für einen Augenblick hatte sie den Eindruck, sein Bug zeige immer noch auf den Frachter, und sagte sich, dass die beiden Schiffe wohl sehr dicht aneinander vorbeifahren würden.
    Aber sie hatte jetzt Wichtigeres zu tun,

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