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Dezembersturm

Titel: Dezembersturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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Mannschaft zu alarmieren. Rasch begriff sie, dass Ruppert sie eingeholt haben würde, ehe sie die Hälfte des Wegs zurückgelegt hatte. Da brachte sie eine Schlinge in dem zweiten Tau, das neben der Treppe herunterhing, auf eine Idee.
    Sie schlüpfte mit dem rechten Arm und dem Kopf hinein, so dass die Schlinge schräg über ihrer Schulter lag, drehte sich mit einem Ruck herum und klemmte ihren linken Absatz hinter der Kante einer Treppenstufe fest. Den anderen Fuß zog sie ganz leicht unter ihre Unterröcke. Mit einem Gesicht, als sei sie vor Angst erstarrt und kraftlos geworden, sah sie Ruppert entgegen.
    Er war schon dicht hinter ihr und begann nun zu grinsen. »Zum Aufgeben ist es zu spät, meine Liebe. Jetzt wirst du genauso zu den Fischen wandern wie diese beiden Narren hier und dieses kleine Miststück Nati. Übrigens kannst du ruhig schreien. Bei dem Lärm da draußen hört dich eh keiner.«
    Ruppert hatte recht. Selbst er musste brüllen, damit sie ihn verstand. Während er sprach, war er weitergeklettert und streckte nun die Hand aus, um sie zu packen.
    In dem Moment trat Lore zu. Sie hatte auf das Gesicht gezielt, traf jedoch nur die Brust.
    Durch den heftigen Schlag verlor er den Halt, schnappte aber nach Lores Fuß und bekam ihn zu fassen. Für einen Augenblick sah sie sein wütendes Gesicht, dann wurde sie von seinem Gewicht von der Treppe gerissen und stürzte ein Stück mit ihm in die Tiefe. Die Seilschlinge um ihre Schulter hielt ihren Fall jedoch auf. Lore spürte einen stechenden Schmerz in der Schulter, als sei ihr der Arm halb abgerissen worden, und hing dann hilflos am Seil. Noch immer umklammerte Ruppert ihren rechten Knöchel. Sie zog den anderen Fuß hoch und trat nach seinen Händen.
    »Elendes Miststück!«, keuchte er und begann hin und her zuschwingen, um die Treppe zu erreichen.
    Während Lore fürchtete, zwischen seinem Gewicht und dem Seil in zwei Teile gerissen zu werden, hörte sie auf dem Laufgang hastige Schritte und hoffte schon, Hilfe zu bekommen. Doch als sie nach unten sah, erkannte sie Rupperts Kumpane Edwin und William. Einer von ihnen hielt ein Messer in der Hand, der andere eine Pistole.
    »Wir sind gleich da, Chef!« William hangelte sich die Treppe hinauf und streckte die Hand aus, um Ruppert zu packen, sobald der Schwung diesen zu ihm tragen würde. Dabei äugte er feixend zu Lore hin.
    »Dich werde ich mit noch mehr Vergnügen in einen Sack stecken und ins Meer werfen als die beiden Trottel dort!«
    »Ich glaube nicht, dass du das tun wirst!«, rief in diesem Moment ein dritter Mann.
    Es war Fridolin, der ebenfalls die Tür im Schott benutzt hatte und nun den Steg entlangrannte. Noch im Laufen griff er in seine Tasche.
    Während Lore eine ganze Steinlast vom Herzen fiel, sah sie, dass Edwin hinter eine Kiste zurückwich und seine Pistole hob.
    »Vorsicht, Frido! Er wird gleich schießen!«, schrie sie, so laut sie konnte.
    »Verfluchtes Weibsbild!«, rief Edwin und drückte ab.
    Fridolin warf sich zu Boden und spürte, wie die Kugel über ihn hinwegstrich. Zu einem zweiten Schuss ließ er den Mann nicht mehr kommen. Seine Taschenpistole knallte zweimal kurz hintereinander. Während Edwin wie ein nasser Sack zusammenfiel, kippte William von der Treppe und stürzte mit einem gellenden Schrei in die Tiefe.
    In dem Augenblick verstummte die Dampfpfeife, und das Geschrei erstarb ebenfalls. Für einige Sekunden wurde es so still, dass Rupperts Keuchen und Schnauben überlaut an Lores Ohren drang. Dann traf ein gewaltiger Schlag das Schiff. Unter einem schier nicht enden wollenden Kreischen wurde der gegenüberliegende Teil des Schiffsrumpfes wie von einer Riesenfaust eingebeult und riss auf.
    Am Seil hängend, wurde Lore durch den Stoß weit über die Tiefe des Laderaums hinausgetragen. Ruppert hing noch immer an ihr und versuchte, sich an ihrem Bein nach oben zu ziehen. In dem Augenblick rissen die obersten Knöpfe ihres Stiefels auf, und Ruppert stieß einen panikerfüllten Schrei aus. Seine verzweifelten Versuche, ihr zweites Bein zu fassen, dehnten ihre Gelenke so, dass der Schmerz schier unerträglich wurde. Doch sie brachtekeinen Laut über die Lippen, sondern starrte wie hypnotisiert auf Ruppert hinab.
    Seine sonst so überhebliche Miene verzerrte sich vor Todesangst, und Lore spürte, wie der Stiefel, an den er sich klammerte, langsam an ihrem Bein hinabrutschte. Verzweifelt versuchte er mit der anderen Hand nach oben zu greifen. Doch Lore zog den linken Fuß und ihr

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