Dezembersturm
Begleitung in das Land, in dem der Pfeffer wächst. Doch auch er wagte nichts zu sagen, sondern sah betreten zu, wie einige Gäste, je nach Temperament mit betretenen Mienen oder einem spöttischen Lachen, den Saal verließen und draußen nach ihren Mänteln riefen.
Die meisten Besucher traten jedoch auf Nathalia zu, um zu kondolieren. Das Mädchen nahm die Beileidsbekundungen mit überraschender Anmut und Würde entgegen. Aber Lore sah sehr wohl, dass ihre Mundwinkel zuckten, wenn sie zwischendurch einen Blick auf ihre Großtante warf.
Diese hatte sich inzwischen wieder in der Gewalt und segelte nun ebenfalls auf das Kind zu, um es bei der Hand zu nehmen. Dabei übersah sie Dorothea Simmern, als bestände diese aus Luft. Bevor sie jedoch ein Wort sagen konnte, trat Thomas Simmern auf sie zu und kondolierte.
»Mein herzliches Beileid zum Tode Graf Retzmanns. Wie ich sehe, sind hier ja alle schwer in Trauer versunken. Allerdings möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, dass Sie Festlichkeiten dieser Art in absehbarer Zeit in Ihren eigenen vier Wänden abhalten sollten. Dies hier ist ein Trauerhaus, und Komtess Nathalia Sophia Alexandra Elisabeth von Retzmann sind häufige Gäste und Feiern nicht zuzumuten.«
»Ich … Wir wussten nicht, dass Sie schon aus England zurück sind. Es hieß, Sie würden länger bleiben«, würgte Ermingarde Klampt mühsam hervor.
»Sollte ich das so auffassen, dass die Mäuse auf den Tischen tanzen, sobald die Katze aus dem Haus ist?« Thomas Simmerns Stim me klang ätzend und brachte weitere Gäste dazu, das Palais umgehend zu verlassen. Einige von denen, die blieben, klatschten jedoch demonstrativ Beifall.
Thomas Simmern ging einmal um Ermingarde Klampt herum und zwang diese damit, sich um die eigene Achse zu drehen, um ihn im Auge behalten zu können.
»Wie kommen Sie dazu, mir als Nathalias nächster Verwandter Vorschriften machen zu wollen?«, fragte sie giftig.
»Wie ich Ihnen schon brieflich mitgeteilt habe, bin ich testamentarisch von Graf Retzmann als Vormund und Vermögensverwalter der Komtess eingesetzt worden. Daher werde ich auch die Aus gaben kontrollieren, die hier gemacht werden, und die Summe festsetzen, über die Sie als Repräsentantin des Hauses verfügen können. Da ein Trauerjahr vor Ihnen liegt, wird diese nicht sonderlich hoch sein.«
»Verdammter Krämer!«, schimpfte Ermingarde Klampt.
Thomas Simmern zuckte mit den Schultern. »Sie kennen meine Anweisungen. Darf ich Ihnen Fräulein Lore Huppach vorstellen, die Enkelin des Freiherrn von Trettin auf Trettin aus Ostpreußen, eines alten Freundes Ihres verstorbenen Schwagers? Diese tapfere, junge Dame ist von Graf Retzmann vor seinem Tod zu Natis Gesellschaftern bestimmt worden und hat unserer Komtess auf dieser schlimmen Reise dreimal das Leben gerettet. Sie ist auch meine Lebensretterin. In Zukunft wird sie hier wohnen, und nach dem Willen des Verstorbenen ist nur sie allein für Nathalias Erziehung verantwortlich. Außerdem ist sie mein verlängerter Arm in diesem Haus. Was sie sagt, wird hier von Gewicht sein. Also sollten Sie und Ihre Familie sich gut mit ihr stellen!«
Der Dame quollen buchstäblich die Augen aus dem Kopf, und die Blicke, mit denen sie Lore bedachte, waren eine einzige Kriegserklärung.
Der Kampf begann schon kurze Zeit später an der Tafel, an der in weitaus bescheidenerem Rahmen zu Abend gegessen wurde, als Ermingarde Klampt es geplant haben mochte. Da Lore ein bestimmender Teil des Retzmannschen Haushalts werden sollte, batErmingarde sie, sich rechts neben sie zu setzen, und erklärte sie auf der Stelle zu ihrer »lieben Lore«.
Doch kaum hatten sie Platz genommen, begann sie sie in unverschämter Weise auszufragen. Ihre Tochter und ihr Sohn, die sich auf ein unbeschwertes Leben auf Natis Kosten eingerichtet hatten, assistierten ihr dabei nach Kräften.
Lore durchschaute das unsympathische Trio rasch. Sie wollten sie als Hochstaplerin hinstellen, die sich das Vertrauen Graf Retzmanns erschlichen hatte und vor der es nun Nati zu schützen galt. Das Kind wurde mit den süßesten Kosenamen bedacht, aber es reagierte kein einziges Mal darauf. Es schien fast, als sei es für die Stimmen seiner Verwandten taub. Seine Tischmanieren waren jedoch ausgezeichnet, wie Lore zufrieden feststellte. Wenn Nati wollte, wusste sie sich zu benehmen. Doch sie missachtete ihre angeheiratete Großtante und deren Nachwuchs, sondern redete nur mit Onkel Thomas, Dorothea Simmern und Lore.
Ermingarde
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